In dieser Rubrik wird jeden Monat ein Objekt aus den historischen Sammlungen des Museum Burghalde Lenzburg vorgestellt.
Der Titel dieser «Rubrik» geht auf das Kuriositätenkabinett zurück, das im 14. Jahrhundert entstand und ein Vorläufer der heutigen Museen ist. In diesem Raum oder Schrank wurde alles gesammelt, was als interessant angesehen wurde. Die Sammlungen an Kuriositäten gingen von einheimischen Artefakten bis hin zu naturkundlichen Objekten und Fossilien.
Superpower – Übermenschliche Energie (Kolumne 22)
Die Sonderausstellung «Superpower» stellt Heiligenbilder und Superheldinnen und -helden einander gegenüber, sucht nach Gemeinsamkeiten und findet Unterschiede.
55 Tage –das Energiejahr zum 100-jährigen Bestehen der SWL Energie AG hat schon bald die Halbzeit erreicht! Zusammen mit dem Museum Burghalde hat die Energie- und Wasserversorgerin der Region Lenzburg in dieser Zeit schon so Einiges auf die Beine gestellt, um die Geschichte(n) der Energie zu würdigen. Das Herzstück ist die Sonderausstellung rund um Wasser und Energie in der Seifi, der Dépendance des Museums. Nun folgt der nächste Streich: Im Untergeschoss des Museum Burghalde befindet sich die einzige öffentlich zugängliche Ikonensammlung der Schweiz. Ab dem 5. Juni eröffnet dort die kleine, aber feine Sonderausstellung «Superpower». Darin geht es nicht so sehr um «weltliche» Energie wie Strom, Wasser- oder Windkraft, sondern um etwas weniger Greifbares: Die Superkräfte aus der Populärkultur wie etwa jene von Hellboy, Mera oder Black Lightning. Diese werden der Kraft aus dem Glauben und der Ikonen gegenübergestellt.
Der Einfluss von Ikonen und Geschichten aus Religion und Mythen sind in der Populärkultur mal subtiler, mal wieder sehr deutlich zu finden. Beispielsweise wird die Pietà (Darstellung der trauernden Maria mit dem vom Kreuz abgenommenen Jesus Christus in den Armen) immer wieder neu interpretiert.
Hellboy – ein adoptierter Halbdämon – reist durch die Welt und kämpft gegen «dunkle Mächte». In diesen Erzählungen werden Elemente aus Religion, Folklore, Horror, Märchen und Literatur vermischt. Teilweise wurden Figuren direkt aus der Mythologie übernommen. Thor, der Donnergott aus der nordischen Edda kämpft seit den Sechzigerjahren an der Seite diverser Marvelcharaktere in Comics, Filmen und Games.
Superkräfte in der Populärkultur sind vielfältig; meist haben die Charaktere mehrere Fähigkeiten: Gedankenkontrolle, Telekinese und Zauberei etwa. Aber auch «weltliche» Energie steckt in Superkräften, die meist mit den vier Elementen verbunden sind. Wasserkontrolle (Hydrokinese), Feuerkontrolle (Pyrokinese), Erdkontrolle (Geokinese) und Luft- oder Windkontrolle (Aerokinese) sind so präsent, dass sie ihre eigenen Definitionen im Genre gefunden haben.
Ob nur ein Teil der Elemente beherrscht werden kann, wie das Aquaman oder Katara aus The Last Airbender tun, oder ob die Figur gleich selbst zum Element wird, wie Dust aus X-Men oder The Human Torch: Die Elementarkräfte sind wichtiger Teil des Superheldenuniversums.
Dargestellt werden diese Kräfte in der Populärkultur mit viel Dynamik und Effekten. Schäumendes Wasser, knisternde Blitze und züngelnde Flammen visualisieren die Superkräfte der Figuren. Flatternde Stoffe im Wind und wehende Haare inklusive Wirbelstürme lassen auch den Wind sichtbar werden.
Ob spirituell oder überirdisch: Das Museum Burghalde lädt Sie herzlich dazu ein, die verschiedenen Facetten der Superkräfte im Ikonenmuseum zu entdecken.
Eröffnung der Sonderausstellung «Superpower» mit Begrüssung durch Irène Fiechter, Kuratorin und Franziska Mayer, Szenografin. Die Sonderausstellung Superpower ist bis am 13. November 2022 im Museum Burghalde (Ikonenmuseum) zu sehen.
Artikel verfasst von Irène Fiechter, Sammlungsverantwortliche, erschienen am 29.5.2022 in der Kolumne «Kuriositätenkabinett» bei Welovelenzburg.ch
Väterchen Frost (Kolumne 21)
Väterchen Frost, Nikolaus oder Saint Nik? Auf den Spuren der Nikoläuse und ihren Attributen im Museum.
uf einem Schlitten, von Rentieren gezogen, zieht er um die Welt und verteilt den lieben Kindern Geschenke. Das Bild des Sankt Nikolaus ist weithin bekannt. Der amerikanische Santa Claus hat mittlerweile das Erscheinungsbild der Figur stark beeinflusst, doch ist er in keiner Weise der einzige und wirkliche Samichlaus.
Nikoläuse aus aller Welt
Die Figur, die auf einem Heiligen aus der heutigen Türkei, dem Bischof Nikolaus von Myra, basiert, variiert in Kleidung und Aussehen je nach Kultur. Dann gibt es da auch noch Väterchen Frost. Die russische Version ist keine christliche, sondern eine mythologische Figur. Seit Jahrhunderten ist Djed Moros, beziehungsweise Väterchen Frost, in Märchen und Schriften Russlands nachweisbar. Väterchen Frost erscheint mit dickem weissen Bart und Zepter, dessen Spitze alles, was sie berührt, gefrieren lassen kann. Durchs Jahr wohnt er, naturverbunden, in der Taiga-Wildnis gelegenen Stadt Weliki Ustjug. Seinen Schlitten, die Troika, lässt er von drei Schimmeln oder Rentieren ziehen. Anstatt eines roten trägt Väterchen Frost einen eisgrauen, mit Blautönen durchwebten Pelzmantel. Manchmal sind die blauen Fäden allerdings auch gelb oder grün. Zudem tritt Väterchen Frost schlank und durchtrainiert in Erscheinung. Er trägt die traditionellen russischen Filzstiefel «Valenki». Obwohl Väterchen Frost keine christliche Figur ist, wurde er zu Anfang der bolschewistischen Revolution 1917 verboten. Er galt als eine Art Kindergott und war zu «bourgeois»; das klingt zu sehr nach Religion und «Opium für das Volk» dafür war in der Sowjetunion kein Platz.
Neben Väterchen Frost verschwanden unzählige kirchliche Gegenstände und sakrale Bräuche aus der Sowjetunion, da das Christentum und religiöse Feste im Sozialismus verboten waren. Viele dieser Objekte wurden nicht zerstört, sondern verkauft. So fanden etwa einige orthodoxe Ikonen schlussendlich auch ihren Weg zum Lenzburger Sammler Dr. med. Urs Peter Hämmerli. Darunter eine Ikone des Nikolaj die er in späteren Jahren einem guten Freund schenkte. Vor einem Jahr – 22 Jahre nachdem Dr. Hämmerli seine 64 anderen Ikonen dem Museum Burghalde schenkte – fand diese Ikone den Weg ins Museum Burghalde und vollendet die Sammlung.
Zurück in die Sowjetunion der Anfang der 1930er Jahre. Zu dieser Zeit führte Stalin Väterchen Frost wieder ein – um Unterstützung im Volk zu schaffen. Väterchen Frost wurde so zu einer Art Weihnachtsmann-Ersatz, der die Geschenke jedoch am russischen Silvester bringt.
Nachdem die Sowjetunion in den 1990ern endete, kehrten die meisten Menschen wieder zu ihren traditionellen Weihnachtbräuchen zurück. Väterchen Frost wird heute noch hauptsächlich in Russland zelebriert, ist in der restlichen ehemaligen Sowjetunion jedoch aus der Mode gekommen.
Artikel verfasst von Irène Fiechter, Sammlungsverantwortliche, erschienen am 28.11.2021 in der Kolumne «Kuriositätenkabinett» bei Welovelenzburg.ch
Lass dich überraschen! (Kolumne 20)
«Lass dich überraschen…» sang einer der grössten Entertainer Deutschlands von 1970 – 1975 zu Beginn der gleichnamigen Show. Sein Weg ins Museum Burghalde.
Rudi Carrel hatte seinen letzten Fernsehauftritt am 2. Februar 2006 wenige Monate vor seinem Tod. Einem jüngeren Publikum mag vielleicht nicht bewusst sein, wie berühmt der gebürtige Holländer in der deutschsprachigen Unterhaltungsindustrie war: von den 1970ern bis zu den 1990ern galt Rudi Carrell als Superstar und war aus der Abendunterhaltung der Heimkinos nicht mehr wegzudenken. «Herzblatt», «Lass dich überraschen» und «Am laufenden Band» hiessen seine wohl bekanntesten Shows, ausserdem war er bei «7 Tage, 7 Köpfe» dabei. Auch als (Schlager-)Sänger feierte er Erfolge.
Aber was hat denn nun ein ehemaliger deutscher Showmaster aus den Niederlanden mit der Sammlung des Museum Burghalde zu tun? Nun ja, in einem aufwändigen Prozedere wurde die gesamte HERO-Sammlung vor drei Monaten in ein neues Depot gezügelt. Während dem Packprozess kamen einige Besonderheiten zum Vorschein, die lange in den Tiefen der Sammlung verborgen geblieben waren. So eben auch die obige Fotografie mit Rudi Carrel vor einem Stapel HERO-Dosen.
Wie schnell sich einstiger Ruhm verflüchtigen kann, zeigt ein Beispiel aus den eigenen Reihen: Als sich die junge Assistentin beim Verpacken des Sammlungsguts erkundigte, ob der «Mann auf dem Bild» wohl auch ein Direktor oder ein wichtiger Vertreter der HERO gewesen sei, kam der begeisterte Ausruf der in den 1980ern geborenen Sammlungsverantwortlichen: «Ha! Das ist Rudi Carrell!»
«Ist der von HERO Frauenfeld?», kam die Frage zurück und eine längere Erklärung folgte. Eine Herausforderung in einer Sammlung, wo noch nicht alles in der Datenbank eingetragen ist, sind Objekte ohne Informationen. So ist es auch bei dieser Fotografie. Der Schwarz-Weiss-Abzug wurde einst in der Dunkelkammer entwickelt und trägt ausser den Namen des Fotostudios «Fotografie SUCHEFORT Bremen» keine Datumsangabe und weiterführende Details.
Um so einen Archivfund zu datieren und in die restliche Sammlung einzuordnen, erfordert es Detektivarbeit. Bei Rudi Carrell ist der Vorteil, dass er sehr bekannt war. So kann einerseits eine Bildersuche – die sogenannte typologische Methode – unternommen werden. Ausserdem sind viele Informationen zu seiner Person abrufbar. Beispielsweise, dass Carrell ab 1977 nur noch für eine einzige Firma als Markenbotschafter auftrat, weshalb unser HERO-Bild vorher entstanden sein musste. Seine Haarpracht lässt ebenso Rückschlüsse zu: Die Haare sind noch nicht stark ergraut und die Frisur auf dem Foto trug er zwischen 1972 bis 1977. Die Schriftart und das Layout der grafischen Darstellung auf dem Dosenetikett lässt auch auf die 1970er Jahre schliessen. Da das Foto in Bremen entwickelt wurde, liegt die Vermutung nahe, dass die Veranstaltung, an der diese Aufnahme entstand, auch in Deutschland stattgefunden hat. Nun verrät die Firmengeschichte der HERO, dass in Gross-Gerau nahe Frankfurt am Main bis 1973 eine Tochterfirma bestand. Ein ehemaliger Finanzchef der HERO, der Jahrzehntelang für die Firma arbeitete, konnte zudem die Information beitragen, dass die Veranstaltung ganz sicher nicht in der Schweiz stattgefunden habe.
Das Rätsel der Herkunft des Fotos kann trotz verschiedenen Recherchen also nicht komplett gelöst werden, doch die einzelnen Hinweise halfen, die Suche nach den Hintergründen einzugrenzen und das Objekt einzuordnen.
Haben auch Sie noch Informationen zu geheimnisvollen Objekten des Museums? Ab dem 29. Oktober gibt es bei uns eine neue Station, wo Sie Ihr Wissen oder ihre Erinnerungen mit uns teilen können. Wir würden uns freuen!
Artikel verfasst von Irène Fiechter, Sammlungsverantwortliche, erschienen am 30.10.2021 in der Kolumne «Kuriositätenkabinett» bei Welovelenzburg.ch
Aus neu mach alt (Kolumne 19)
Handwerkliche Edelstücke für das Museum. Ein kleiner Ausflug in die Welt der nachgebauten archäologischen Funde, die Repliken.
Im Museum Burghalde sind im Erdgeschoss steinzeitliche Objekte zu finden, die berührt und teilweise in die Hände genommen werden dürfen. Dies sind sogenannte Repliken, also massgetreue Nachbildungen eines archäologischen Fundes. Ein Grossteil der Repliken sind vom Kurator der archäologischen Ausstellung gemacht worden.
Ein archäologisches Replikat, wie es fürs Museum hergestellt wird, muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Nicht nur sind die verwendeten Materialien dieselben wie beim Original, sie werden nach Möglichkeit auch mit damals verfügbaren Werkzeugen bearbeitet.
Woher weiss nun unser Archäologe, welche Werkzeuge und vor allem welche Materialien in der Vergangenheit benutzt wurden?
Wunderwerk Steinbeil
Die wichtigste Grundlange sind natürlich die Fundstücke, die auf Ausgrabungen entdeckt werden. Das Steinbeil soll hier als Beispiel dienen. Häufig sind Originalfunde nicht vollständig erhalten. Was sicher überliefert ist, ist die robuste Klinge aus Stein. Organische Funde überdauern hingegen nur in seltenen Fällen mehrere Jahrtausende im Boden. Fehlt der Holzgriff des Steinbeils, dienen besser erhaltene, vergleichbare Funde als Inspiration – zum Beispiel ein Exemplar, das sich im feuchten Boden einer Pfahlbausiedlung vollständig erhalten hat. Auch Werkzeuge, die sich zur Herstellung eines Steinbeils eignen, sind aus Ausgrabungen bekannt; zum Beispiel Sandsteine zum Schleifen der Beilklinge, Feuersteinklingen oder Knochenwerkzeuge zum Schnitzen des Beilgriffes. Bleiben gewissen Faktoren und Arbeitsschritte unbekannt, kommt die experimentelle Archäologie zum Einsatz: In wissenschaftlichen Versuchen wird ausprobiert, welche Arbeitsweise sich am besten bewährt. Beim Beilgriff etwa die Werkzeugwahl für die Bearbeitung der Holzoberfläche. War es Feuerstein, Knochen, oder womöglich sogar Fischhaut – quasi urgeschichtliches Schleifpapier? Ist das Steinbeil fertig gebaut, wird es getestet. Wie lange dauert es, damit einen Baum zu fällen? Hält das Beil der Belastung stand? Welche Arbeitsspuren sind am bearbeiteten Holz sichtbar? Alle Beobachtungen treiben die archäologische Forschung voran und öffnen uns neue, kleine Fenster in die Vergangenheit.
Replik gleich Fälschung?
Nur selten werden Repliken ausschliesslich mit (prä-)historisch korrekten Werkzeugen produziert. Heute muss es manchmal schnell gehen, und so sind auch bei diesen Arbeiten die Bandsäge und Schleifmaschine gefragt. Dank den modernen Helfern dauert die Produktion eines einsatzbereiten Steinbeils lediglich einen Tag statt ganzen fünf. Spuren moderner Maschinen am fertigen Steinbeil sind allerdings tabu. Der «Feinschliff» wird deshalb jeweils mit authentischem Werkzeug gemacht.
Perfekt nachgearbeitete Repliken bergen allerdings ein Risiko: Wird ein solches Stück für eine bestimmte Zeit im Boden vergraben, ist es danach kaum mehr von einem Original zu unterscheiden. Und so wird aus dem im Feld verlorenen, nachgebauten Steinbeil nach wenigen Jahren plötzlich eine bedeutende archäologische Fundstelle. Damit also eine Replik nicht zur Fälschung wird, gibt es bestimmte Vorsichtsmassnahmen. Repliken aus dem «Edelsektor» werden nur an andere Museen und nicht an Privatpersonen verkauft. Für den Verkauf werden absichtlich «Fehler» eingebaut: Bei einem Feuersteinmesser wird beispielsweise ein Stein genommen, der früher in dieser Region nicht vorkam. Für Münzen wird eine Legierung verwendet, die noch nicht existierte, als die Originale geprägt wurden. Diese Tricks sorgen dafür, dass sich zukünftige Archäologen nicht von «neuem Altem» täuschen lassen.
Artikel verfasst von Irène Fiechter, Sammlungsverantwortliche, erschienen am 26.09.2021 in der Kolumne «Kuriositätenkabinett» bei Welovelenzburg.ch
Geheimnisvolle Uhr (Kolumne 18)
Von Pendeln, Uhrmachern und Nachtwächtern. Was sich im Museum Burghalde neben dem Schrank verbirgt.
Ist Ihnen beim letzten Besuch im Museum Burghalde diese glänzende Besonderheit aufgefallen? Vermutlich nicht. So unscheinbar diese historische «Laternenuhr» mit Pendel, so bezaubernd ist das fast 400 Jahre alte Kunstwerk. Das neueste Kleinod in der Dauerausstellung des Museums ist mit 26,5 cm Höhe und 15,5 cm Breite tatsächlich klein. Doch das Pendel – ein sogenannter Kuhschwanz – reicht mit seinen ausgezogenen 190 cm dafür fast bis zum Boden.
Wunderschön gearbeitet schimmert das Zifferblatt kupfern und das Drumherum silbern den Betrachtenden entgegen.
Auf den ausklappbaren Seiten rechts und links, sind in Messing getriebene Musikanten abgebildet. Wenn die Uhr wie im Museum aufgehängt ist, verbirgt sie jedoch ein Geheimnis: Die Rückseite verrät nämlich Alter und den Macher des Uhrenkastens.
«LENTZBURG 16Z9» ist in den unteren Teil des Uhrenkastens ziseliert. Somit ist das Objekt nur ein Jahr jünger als die «Alte Burghalde» mit Baujahr 1628, in dem es sich befindet! In der Mitte ist eine Burg eingearbeitet. Mehr über das Motiv erzählen könnte uns vielleicht der uns bis dato unbekannte M.K., dessen Initialen neben der Burg eingelassen sind. Weiterführende Informationen zum Macher des Chronographen sind also in den Fluten der Zeit verborgen geblieben. Eine schöne Parallele zur dargestellten Burg bildet die Wappenscheibe im selben Raum. Sie hat ebenfalls den Zahn der Zeit überstanden. Der abgebildete Bergfried (Wehrturm) von Lenzburg ähnelt in seiner Darstellung stark der «Burg» auf der Rückseite der alten Uhr.
Nachdem das Fundstück im Frühjahr 2019 den Weg ins Museum gefunden hatte, wurde die Rarität von einem erfahrenen Uhrmacher sorgfältig restauriert. Nicht nur für Profis der Uhrenwelt liest sich die Beschreibung der Uhr ganz wunderbar: «Das Stück ist eine Laternenuhr nach englisch/französischem Stil. Sie hat ein einzeigriges Zifferblatt mit Stundenschlag und ein hintereinander liegendes Geh- und Schlagwerk mit Seilzug. Der Stundenschlag wird auf der obensitzenden Helmglocke ausgeführt dazu kommt noch eine Spindelhemmung mit kurzem Vorderpendel. Die geschätzte Gangdauer, bis die Uhr wieder aufgezogen werden muss, beträgt etwa 24 Stunden.» Nach der Lektüre dieser Würdigung ist es denn auch nicht überraschend, dass der Uhrmacher, der seit 1983 aktiv ist, gemäss eigener Aussage in seiner ganzen Berufszeit nichts Gleichwertiges gesehen hat. Möglicherweise handle es sich um eine Nachtwächteruhr. Darauf schliessen lassen würde die Figur, die ins Horn bläst. Dem widerspricht, dass die typischerweise abgebildeten Objekte Hellebarde, Laterne und Mantel fehlen. So hängt die altehrwürdige Uhr nun im Museum Burghalde und behält viele ihrer Geheimnisse weiterhin für sich.
Ein Mysterium sprachlicher Natur lässt sich hingegen noch lüften: Das «T» im abgebildeten Namen «Lentzburg» dürfte vom einstigen römischen Namen «Lentia» stammen.
Artikel verfasst von Irène Fiechter, Sammlungsverantwortliche, erschienen am 29.08.2021 in der Kolumne «Kuriositätenkabinett» bei Welovelenzburg.ch
Lenzburg Seifenkisten-Derby (Kolumne 17)
Mit Schwung und Wagemut den Schlossberg hinunter! Ende August wird einer beinahe vergessen gegangenen Tradition neues Leben eingehaucht. Von der Faszination «Seifenkiste».
«Achtung, Achtung, Start in wenige Minute. Achtung, Achtung, Start in wenige Minute.» Tönt es scheppernd durch die Luft. Die Seifenkistenpiloten machen sich bereit, die jungen Mechaniker liegen noch unter den Kisten und machen die letzten Check-ups.
So beginnt das filmische Seifenkistenabenteuer «Boliden» der Pfadi Lenzburg von Walter Feistle aus dem Jahr 1991. Verschiedene selbstgebaute Rennwagen sind im Einsatz. Besonders der umgebaute WISA-GLORIA Kinderwagen sticht heraus – nicht zuletzt, weil es ihn über die Rennstrecke hinauskatapultiert, um querfeldein den schnelleren Weg einzuschlagen.
Das halsbrecherische Rennen den Schlossberg hinunter war aber keinesfalls das erste Unterfangen dieser Art. Schon Anfang der 1920er rasten Kinder in selbstgebauten Seifenkisten vom Schloss Lenzburg den (damals noch) holprigen Kiesweg hinunter.
Die Seifenkiste als Gefährt hat eine lange Tradition. Das erste Mal ist ein «Kinderautomobilrennen» offiziell 1904 im deutschen Oberursel dokumentiert. Inspiriert vom «Gordon-Bennet-Cup», der von 1900 bis 1905 ausgetragen wurde, fanden dort Rennen für vorwiegend Jungen und ihre Väter statt. Die fahrenden Kästen wurden aber noch nicht «Seifenkisten» genannt. Dieser Begriff stammt aus den USA, wo sich unabhängig von Oberursel die Tradition der «Soap Box Derby» (zu Deutsch eben «Seifenkistenrennen») entwickelte. Während der grossen Depression im Jahr 1933 auf der Suche nach Sujets, beobachtete der Fotograf Myron Scott in Dayton Ohio drei Jungen, die in umgebauten Holzkisten mit Kinderwagenrädern die Strassen runter holperten. Scott war so beeindruckt, dass er die Jungen einlud, eine Woche später mit mehr Freunden ein Rennen zu fahren. 19 Kinder und ein beachtliches Publikum fanden sich zum Spektakel ein. Schon ein Jahr später traten 35 Gewinner aus der Region in Dayton gegeneinander an und das erste offizielle Seifenkisten-Derby war geboren. 1935 zog die Veranstaltung nach Akron um, weil der erste Sponsor Chevrolet dort extra eine Rennstrecke für die Teilnehmenden gebaut hatte.
Aber wieso heisst es denn nun «Seifenkiste? Die Legende besagt, dass ein Seifenfabrikant als Werbekampagne Baupläne für die Rennwagen auf seine Seifenkisten druckte und diese so an die Kinder kamen. Nicht schlecht, diese Idee!
Zurück in Lenzburg und zurück aus der Vergangenheit wird dem vom Schlossberg am 21. August 2021 neues Leben eingehaucht. Unter der Leitung des Museum Burghalde in Kooperation mit der IG Seifenkisten Derby Schweiz und der LESA (Lenzburg Space Agency) werden bis zu 60 Jugendliche am Lenzburg Seifenkisten-Derby den Hindernisparcours hinuntersausen.
Mit der Beschaffenheit, der doch bemerkenswert steilen Strecke entlang der Schlossgasse, wird ein Schweizer Rekord gebrochen, wie das Organisationskomitee beschied: Es wurde die schnellst-kürzeste Strecke der Schweiz geschaffen.
Artikel, verfasst von Irène Fiechter, Sammlungsverantwortliche, erschienen am 01.08.2021 in der Kolumne «Kuriositätenkabinett» bei Welovelenzburg.ch
Helden sind Kult (Kolumne 16)
Ronaldinho gegen Pelé war gestern, vorgestern waren’s Pestalozzi gegen Winkelried und Zwingli gegen Tell: Sammelbildchen von Nationalhelden wurden auch schon vor über hundert Jahren getauscht und gehortet. Der Lenzburger Künstler Werner Büchly (1871-1942) hatte sie alle.
Pünktlich zur EM ist der Sammelwahn rund um die Fussballhelden auf dem Spielfeld wieder ausgebrochen. Jubelrufe, Wellen und Public Viewings halten die Massen in Atem. Klebebildchen mit den Idolen aus aller Welt beschwingen die Begeisterung der Kleinen. Als ob die flüchtigen Momente des Feierns und Triumphierens in den Sammelalben festgeklebt werden könnten, um die gelungenen Flanken, steilen Pässe und siegerhaften Schüsse auch nach dem Spiel noch einmal miterleben zu können.
Richtet man den eigenen Blick für einmal statt auf Bildschirm, Spielkonsole und Sammelalbum auf das, was sich direkt vor unseren Köpfen befindet, so mag man erstaunt sein, wo uns überall in und um Lenzburg «Helden und Propheten» begegnen– quasi in plain sight: Das Angelrain-Schulhaus ist voll von Schützen, Stürmern und Verteidigern – innen und aussen. Nur, dass da der Rollrasen durch das Spielfeld der Kulturgeschichte vertauscht ist.
So wie Panini-Bildli die Sammelleidenschaft der Jüngsten anzukurbeln vermögen, so haben die dortigen Wandbilder bereits vor über 100 Jahren Begeisterungsstürme bei Jung und Alt ausgelöst. Dies ist jedenfalls der flammenden Rede zur Einweihung derselben Bildungsinstitution vom 17. Juli 1903 zu entnehmen. Der Nationalstolz, den diese grossformatigen Szenerien noch heute versprühen, ist nicht zu übersehen: Wenn sich Winkelried in die gegnerische Mannschaft stürzte, Zwingli die Fangemeinde befeuerte, Pestalozzi den Sermon verlauten liess und Tell den perfekten Schuss abgab, dann sprechen hier die Kunstwerke eines wahren Meisters seines Fachs: Werner Büchly, zweifelsfrei der hiesige Shootingstar, quasi der Coach seiner Zeit. Büchly gelang es, die heroischen Figuren und die historischen Momente so effektvoll wie eine EM-Liveübertragung zu inszenieren. Beflügelnde Bilder
Wer hätte sich nicht den eigenen Geschichtsunterricht so befeuernd wie den dramatischen Moment eines Penaltys gewünscht. Denn nicht nur auf dem Rollrasen vermögen Stulpen, Trikots und Nagelschuhe mit famosen Toren und leidenschaftlichem Einsatz zu begeistern.
Wie wunderbar doch Bildung sein kann, wenn sie die eigene Fantasie – und die der anderen – zu beflügeln vermag. Wer in der Aula des Angelrain-Schulhauses tief genug in die gewaltigen Szenen eintaucht, der kann vielleicht sogar die triumphierenden Rufe und den Klang der Nationalhymne durch das Schweizerland hören.
Dass Werner Büchly motivisch sowohl für die geistige wie die körperliche Bildung zu haben war, beweist etwa das Plakat für das Aargauische Kantonal-Turnfest in Lenzburg am 21. und 22. Juli 1907. Die Darstellung von (Halb-)Göttern zu Lebzeiten des Künstlers diente nicht zuletzt der Formung der Jugend und hatte damit eine moralische Vorbildfunktion .
Wir brauchen Helden
Non scholae sed vitae discimus (lat. Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir). Wie schon Seneca, der römische Denker vor 2000 Jahren, hat es Werner Büchly erfasst und den Leitsatz am Angelrain-Schulhaus, am Eingang des Seetalschulhauses in Rupperswil, an der Turnhalle in Oberentfelden, an der Kantonsschule in Aarau oder am Pestalozzi-Schulhaus in Birr künstlerisch ausformuliert.
Heute wie damals ist wahres Heldentum gefragter denn je – in Worten wie in Taten, das Fiebern um die besten Spielerinnen und Spieler: auf dem Fussballfeld, auf dem politischen Parkett sowie im ganz privaten Alltag.
Hinweis: Werner Büchly hinterliess ein reiches Oeuvre an Schulhäusern, Privatvillen, Sakralbauten, das nun anlässlich seines 150 Jahr-Jubiläums erstmals überhaupt vom Museum Burghalde aufgearbeitet wird. Es finden dieses Jahr zahlreiche Veranstaltungen statt. Im Kontext der Pop Up-Ausstellung «Helden und Propheten» werden im Ikonenmuseum ab 4. Juli mit Originalentwürfe imposanten Bildthemen gezeigt. Am Samstag, 11. September, laden die Denkmaltage zu einer Führung rund um das Angelrainschulhaus. Die Jubiläumspublikation mit herausragenden Abbildungen und informativen Texten wird am 4. November im Museum Burghalde vorgestellt.
Bildnachweis: Detail des Originalplakats für das Aargauische National-Turnfest von Werner Büchly. Sammlung Museum Burghalde Lenzburg
Artikel, verfasst von Marc Philip Seidel, Museumsleiter, erschienen am 27.06.2021 in der Kolumne «Kuriositätenkabinett» bei Welovelenzburg.ch
Flockig bis scheuernd (Kolumne 15)
Am Beispiel des legendärsten Eigenprodukts der Lenzburger Seifenfabrik lässt sich prima darstellen, wie einige Produkte von früher in der Gegenwart wieder aufblühen.
Heute erinnert noch der allseits bekannte «Seifi-Parkplatz an die Lenzburger Seifenindustrie. Aber von vorne: 1857 gründete Rudolf Ringier die Savonnerie, und produzierte vor allem Medizinalseife, die in Fachkreisen hohe Anerkennung fand. Ab den 1920er Jahren kamen mehr und mehr Produkte hinzu, zum Beispiel Wasch- und Reinigungsmittel, Toiletten- sowie Hand- und Waschsseifen. Bis in die 1950er waren vor allem drei Reinigungsprodukte für den Haushalt wichtig: Kernseife, Seifenflocken und Scheuerpulver.
Obwohl Scheuerpulver und Kernseife auch heute noch in den Regalen stehen, sind diese Produkte doch eher alte Schule. Hand aufs Herz: Wer von Ihnen kann [ohne zu googlen] aus dem Stehgreif erklären, wofür und wie Seifenflocken verwendet werden?
Grosi erinnert sich
Für diese Kolumne wurden nicht nur Objekte aus der Sammlung hinzugezogen, sondern auch die Erinnerungen von K.W. an die 1950er-Jahre. Sie war damals eine junge Mutter und ist heute 95 Jahre alt: «Seifenflocken habe ich benutzt, um Stoffwindeln zu waschen. Ich hatte ja keine Waschmaschine damals. Die ‹inneren› Windeln habe ich eingeweicht, und zwar auf dem Herd in einem Topf mit Seifenflocken, dann habe ich die Windeln gewaschen. Die ‹Pijiwindeln›, also die äusseren Windeln, wurden einfach mit Wasser ausgewaschen. Auch Kernseife benutzte ich. Wenn die Windeln sehr schmutzig waren, habe ich sie jeweils mit Kernseife eingerieben und über Nacht eingeweicht.» Kernseife ist überhaupt ein Allzweckputzmittel. Sie kann für Böden, Textilien und Möbel genutzt werden, aber auch Körper- und Haarpflege ist möglich. K.W. ergänzt: «Wenn du zum Beispiel eine Nagelbett-Entzündung hast, dann löst du ein wenig Kernseife in warmem Wasser auf und badest deine Finger darin. Das hilft!» Es überrascht nicht, dass die Kernseife eine Renaissance erlebt. Sie ist nicht nur vielseitig einsetzbar, sondern auch handlich und biologisch abbaubar. Gerade Letzteres ist heutzutage ein umso schlagkräftigeres Verkaufsargument. Das Museum Burghalde erhielt im Rahmen der Sonderausstellung «Saubere Sache» viele Kernseifen und Seifenverpackungen geschenkt. Jedoch wurden gerade von der Kronenseife einige Stücke von den Gönnerinnen zurückbehalten, da Kernseife immer noch das beste Fleckenmittel sei. Nicht von ungefähr war die Kronenseife über viele Jahre die Krönung der Lenzburger Produktion. Auch, weil sie dank ihrer konischen und achteckigen Form besonders gut in der Hand lag.
Das Rex-Scheuerpulver war ein weiterer Verkaufsklassiker aus der Seifi. Scheuerpulver wird heute noch für unempfindliche und stark verschmutzte Oberflächen genutzt. Früher wurde es unter anderem für Pfannen verwendet. K.W. berichtet: «Ob Scheuerpulver die Pfannen verkratzt? Ach, darauf haben wir doch damals nicht geachtet! Teflon und das alles gab es für uns noch lange nicht. [Die erste Firma für teflonbeschichtete Pfannen, «Tefal» wurde 1956 gegründet.] Meine Schwiegermutter scheuerte ihre Pfannen immer so sehr, dass die ganz silbern glänzten. Die wurden dann – fünf an der Zahl – nebeneinander aufgehängt. Die Pfannen waren der Stolz ihrer Küche. Für sowas war Scheuerpulver wirklich wichtig.»
Ganz ohne Putz- und Scheuerkrampf zeigt die Sonderausstellung «Saubere Sache» des Museum Burghalde noch bis Ende Dezember 2021 Einblicke in die Geschichte und Entwicklungen in Sachen Hygiene und Sauberkeit.
Tipp: Bereits jetzt vormerken: Familien-Wochenende am 21. und 22. August – mit Seifenkistenrennen! www.seifi.ch
Artikel verfasst von Irène Fiechter, Sammlungsverantwortliche, erschienen am 30.05.2021 in der Kolumne «Kuriositätenkabinett» bei Welovelenzburg.ch
Das grosse Rätseln geht weiter (Kolumne 14)
1851 entdeckten frühe Forscher das erste Mondhorn. 170 Jahre später sind tausende dieser Gegenstände ausgegraben. Doch ihre Bedeutung bleibt bis heute unbekannt.
Inspiriert von frühen Abenteurern und Filmen ist die Archäologie reich an Klischees. Die Jagd nach Goldschätzen entspricht jedoch genauso wenig der heutigen Realität wie das Ausgraben ganzer Städte mit Pinsel und Zahnbürste. Und doch hat jedes Klischee irgendwo einen wahren Kern. So auch jenes, dass Archäologen alles, was sie sich nicht erklären können, «kultisch» deuten. Ein gutes Beispiel dafür sind die «Mondhörner», die zahlreich aus Fundstellen der späten Bronzezeit (1300-800 v. Chr.) bekannt sind. Weil Schriftquellen aus dieser Zeit fehlen ist bis heute unklar, wozu diese Objekte aus Ton oder Sandstein dienten.
Die ersten Mondhorn-Funde Mitte des 19. Jahrhunderts wurden als Objekte eines «gallischen Cultus» interpretiert. Das genaue Alter dieser Gegenstände war damals noch unbekannt. Die «Mondbilder» hätten schützend und heilend gewirkt. Gemäss der kultischen Deutung setzte sich dann der Kunstbegriff «Mondhorn» durch, der die Form der Gegenstände mit der Mondsichel und einem Stiergehörn verbindet. Beide Elemente, der Mond wie auch das Rind, waren in verschiedensten urgeschichtlichen Kulturen wichtiger Bestandteil damaliger Glaubensvorstellungen. Es gab auch verschiedene Versuche, Mondhörnern einen alltäglichen, praktischen Zweck zuzuweisen. Doch überzeugen heute weder die Idee der Nackenstütze, der Feuerbock als Brennhilfe in der Feuerstelle noch der Mondkalender, an welchem sich die zwölf Mondzyklen des Sonnenjahres ablesen lassen.
Und so steht in der Forschung in den letzten Jahren erneut die kultische Deutung der Mondhörner im Vordergrund. Allerdings deutlich fundierter als noch vor 170 Jahren! Beobachtungen zeigten nämlich, dass Mondhörner häufig mit Feuer in Kontakt waren. Und Feuer war – damals wie auch noch heute – ein wichtiges Element in kultischen oder religiösen Handlungen. Zudem sind mehrere Mondhörner bekannt, die sorgfältig in der Erde vergraben wurden, beispielsweise im nahe gelegenen Boswil. Aufsehen erregte auch die Entdeckung eines Mondhorns in Cham, das zusammen mit einer menschlichen Figur aus Stein, einem Topf und einem «Rillenstein» (ein weiteres Objekt, dessen Zweck die Archäologie nicht kennt) in einer Grube niedergelegt war. Die Zeichen häufen sich also, dass die Mondhörner in der Spätbronzezeit tatsächlich in einem Kult verwendet wurden. Was die Form des Mondhorns letztendlich symbolisiert und welche religiösen Vorstellungen sich dahinter verbergen, bleibt jedoch ein ungelöstes Rätsel. Die Faszination für diese Objekte bleibt damit ungebrochen. Wer sich selbst ein Bild verschaffen will, hat die Gelegenheit, in der aktuellen Sonderausstellung «Mondhörner – Rätselhafte Kultobjekte der Bronzezeit» im Museum Burghalde 40 herausragende Exponate aus der gesamten Schweiz zu bestaunen.
Am 2. Mai findet um 11.00 Uhr eine Führung zum Thema statt.
Artikel verfasst von Jonas Nyffeler, Kurator Archäologie, erschienen am 25.04.2021 in Welovelenzburg.ch
Frau erhält eigenen Platz – zu Recht (Kolumne 13)
Gertrud Villiger-Keller: Promotion für das Heimchen am Herd oder eine Frauenrechtlerin vor unserer Zeit?
Umrahmt von Getreide und Sonnenblumen schaut sie konzentriert aus ihrem Porträt in die Ferne. Die Originalzeichnung fand kürzlich über verschlungene Pfade den Weg ins Museum Burghalde. In einer Ausstellungsvitrine zu wichtigen Persönlichkeiten aus Lenzburg war bis dato lediglich die gedruckte Kopie der Zeichnung zu finden.
Gertrud Keller, geboren 1843 in Lenzburg und aufgewachsen in Wettingen, heiratete mit 23 Jahren den Anwalt und Politiker Fidel Villiger, zog mit ihm nach Lenzburg und kümmerte sich vorerst um die Erziehung ihrer vier Kinder. Sie war in der Stadt jedoch schon in der lokalen Wohltätigkeit aktiv. Ab 1887 präsidierte sie den Gemeinnützigen Frauenverein in Lenzburg. 1888 wurde sie zur Zentralpräsidentin des Schweizerischen Gemeinnützigen Frauenvereins gewählt – ein Jahr nach dessen Gründung. Sie behielt den Posten bis an ihr Lebensende – also zwanzig Jahre – bei. Unter ihrer Leitung wurde die bekannte Ärztin Anna Heer bei der Gründung der Pflegerinnenschule in Zürich unterstützt, und auch bei der Entstehung einer Gartenbauschule in Niederlenz war die Pionierin aktiv beteiligt. Beide Schulen entwickelten sich bald zu Einrichtungen von nationaler Bedeutung. Die Förderung von hauswirtschaftlicher Bildung, Haushaltungs- und Dienstbotenschulen waren ihr zentrales Bestreben. Nun kann der Einwand vorgebracht werden, dass Gertrud Villiger-Keller zwar viel erreicht, sich aber dennoch konservativ auf Haushalt und Dienstbotentätigkeiten für die Frauen konzentriert hat. Gerade wenn Sie in alten Texten noch als «Vorbild bester schweizerischer Weiblichkeit» gepriesen wird, mag der Gedanke an eine frühe Frauenrechtlerin vielleicht nicht naheliegend sein.
Gertrud Villiger-Keller und ihre Vorstösse müssen aber aus ihrer Zeit heraus beurteilt werden: Die aufstrebende Industrialisierung, und damit die Fabrikarbeit war in vollem Gange. Berufliche Ausbildungen für Frauen waren damals kaum vorhanden. Vor diesem Hintergrund wollte Gertrud Villiger-Keller allen Frauen den Zugang zur Bildung ermöglichen. Es war ihr ein Anliegen, dass Frauen – egal welchen Standes – gut gerüstet ihren Alltag bewältigen konnten, egal ob ledig, verheiratet oder verwitwet. 1896 sprach sie am Schweizerischen Kongress für die Interessen der Frau in Genf über die Bedeutung und die Funktion der Koch- und Haushaltungsschulen. Die hauswirtschaftlichen Tätigkeiten sollten als Beruf angesehen werden, proklamierte sie. Dabei unterschied sie nicht zwischen bezahlter häuslicher Arbeit, wie die der Dienstbotin oder Wäscherin, und der unbezahlten Arbeit von Ehefrauen als Hausvorsteherin oder weiblichen Verwandten, die im Haus mithalfen. So gründete sie Schulen und forderte vom Bund Subventionen, die sie auch erhielt.
Mit Blick auf die Möglichkeiten, die den Frauen um 1900 zur Verfügung standen, ändert sich die Sichtweise auf eine Person, die sich auf die Öffnung von Haushaltungsschulen konzentrierte. So passt es auch ganz wunderbar, dass die eingangs erwähnte Zeichnung mit ihrem Porträt von einer weiteren Frau stammt, die Pionierin in ihrem eigenen Metier war: Hedwig Scherrer. Sie war eine der ersten akademisch ausgebildeten Illustratorinnen der Schweiz.
Die Hausarbeit als unbezahlte Arbeit und Beruf ist heute wieder ein brandaktuelles Thema. Gertrud Villiger-Keller sah dies schon vor über 100 Jahren.
Und wer weiss, vielleicht weckt diese Biografie neues Interesse für eine alte Ehrenbürgerin Lenzburgs und findet den Weg über den Gertrud Villiger-Platz zu ihr ins Museum Burghalde.
Artikel, verfasst von Irène Fiechter, Sammlungsverantwortliche, erschienen am 28.03.2021 in Welovelenzburg.ch
Rein in den Frühling ... (Kolumne 12)
Nach dem Monat Februar geht’s nun gereinigt in den Frühling. Welch jahrtausendealte Tradition dabei überliefert ist, wird im Folgenden verraten. Von Ziegen, Blut und Sauberkeit.
Februar kommt vom lateinischen «februa» und geht zurück auf Reinigungs- und Fruchtbarkeitsfeierlichkeiten, die eben im Monat Februar stattfanden. Nicht nur in der Religion sind noch immer Spuren der vergangenen Bräuche spürbar, auch in säkularen Bildern und Illustrationen tauchen immer wieder Symbole für Sauberkeit auf, die auf sehr alte Reinheitsbegriffe hinweisen. Augenfällig wird das etwa in der kommerziellen Werbung für Waschmittel... Hier gehts zum Artikel, verfasst von Irène Fiechter, Sammlungsverantwortliche, erschienen am 27.02.2021 in Welovelenzburg.ch
PS: Eine grossartige Auswahl an Seifenetiketten und Werbeplakaten der letzten 125 Jahre offenbart die Sonderausstellung «Saubere Sache» in der ehemaligen Savonnerie Lenzbourg (Seifi) des Museum Burghalde, die übrigens «Dank» Corona bis Ende Jahr verlängert wurde. Und wer sich selbst etwas Gutes tun will und voller Blumenduft rein in den Frühling wandeln möchte, dem seien die Lenzburger Seifi-Kreationen im Museumsshop empfohlen.
Bild: Sammlung Museum Burghalde Lenzburg
Tri tra trallala ... (Kolumne 11)
Im Museum wird nicht rumgekaspert! Oder doch? Die Reise einer kleinen Wanderbühne.
Ob Chaschperli, Kasperle, Pulcinella oder Guignol, die Handpuppe mit der langen Zipfelmütze, die Streiche spielt und Abenteuer erlebt, dürfte wohl allen etwas sagen. Im deutschen Sprachraum ist «de Chaschperli» mit seinen Mitstreitern seit Ende des 18. Jahrhunderts unterwegs. In Frankreich kasperte der Guignol etwas später los: ab 1810 heckte er mit seinem treuen Freund Gnafron Streiche gegen den Polizisten aus.
Das Handpuppenspiel hat eine lange Berufsgeschichte.... weiterlesen
Zu sehen war es übrigens während des Gauklerfestivals im Rahmen der Zirkus-Ausstellung im Museum Burghalde.
Damit das restaurierte Chastperlitheater vor Ort betrachtet werden kann, verlosen wir 2 Freitickets für das Museum Burghalde, in der Hoffnung, dass es seine Tore bald für Besucherinnen und Besucher wieder öffnen kann.
Eine E-Mail an info@welovelenzburg.ch mit Name, Vorname und Adresse und dem Betreff «I Love Guignol» bis Mittwoch, 3. Februar 2021, 23:59 Uhr, genügt, um mitzumachen. Die Gewinner/innen werden am Donnerstag, 4. Februar 2021, bis 12.00 Uhr, benachrichtigt.
Bild: Sammlung Museum Burghalde Lenzburg Text: Irène Fiechter vom 31.01.2021 für WeLoveLenzburg
Trockentauchen im Museum (Kolumne 10)
Eintauchen ins neue Jahr und nach Kulturgut schnorcheln: Unterwasserabenteuer im Museum.
Tauchgrabungen – ob im Meer, in Seen oder Flüssen – sind immer mit Risiken verbunden und können tödlich enden. Nur die wenigsten Archäologinnen und Archäologen haben die Gelegenheit – und den nötigen Tauchschein –, eine Tauchgrabung durchzuführen. Im Museum Burghalde lässt sich hingegen ganz ohne besondere Voraussetzungen eine Expedition unter Wasser erleben. Im ersten Obergeschoss starten die Interessierten mit einer Virtual-Reality-Brille ihre Erkundungstour unter Wasser und begleiten die Tauchexpedition in die Tiefe des Hallwilersees. In den musealen Gefilden wird also nicht geschnorchelt, eingetaucht hingegen schon.
Was die archäologischen Expeditionen der letzten Jahrzehnte so alles an Schätzen hervorgebracht haben, offenbart die Vitrine nebenan. Es sind Kostbarkeiten aus dem UNESCO-Welterbe «Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen». Dieses Welterbe umfasst sechs Länder und 111 Fundstellen! Zwei davon befinden sich im Aargau: Die eine im Riesi in Seengen, die andere im Ägelmoos in Beinwil am See. Das verzierte Bronzemesser etwa konnte bei einer Tauchgrabung aus dem Jahr 2000 im Ägelmoos geborgen werden. Auch aus anderen Siedlungen sind solche Messer bekannt. Früher als verlorene Gegenstände interpretiert, gehen die Archäologen heute davon aus, dass es sich dabei um Opfergaben handelt. Das Messer wurde demnach einer höheren Macht geweiht, die wir jedoch nicht genauer kennen. Auch andere Bronzegegenstände wurden in der Bronzezeit in Seen, Quellen oder Flüssen geopfert, zum Beispiel Schwerter oder Gewandnadeln. Mindestens drei Dörfer aus der Jungsteinzeit (4200 v. Chr.), der frühen und der späten Bronzezeit (1700 und 1000 v. Chr.) verstecken sich beim Ägelmoos im Seegrund. Die Tauchuntersuchung wurde notwendig, weil die Fundschichten durch die Wellen der Motorboote langsam erodieren. Um die Fundstelle vor weiterer Zerstörung zu schützen, deckten sie die Archäologen mit einem sogenannten Geotextil ab und beschwerten es mit einer 20 cm dicken Kiesschicht. Unter diesem Schutzmantel schlummern nun die archäologischen Überreste ungestört vor sich hin. Drei unter Schlick, Kies und Textil konservierte Dörfer, geschützt für die Nachwelt. Bis sie zukünftig vielleicht mit neuen Untersuchungsmethoden wieder geweckt werden.
Wie funktioniert so eine Tauchgrabung? Wird mit einer Schaufel unter Wasser Erde abgetragen? Nicht ganz. Meist werden im Seegrund nur kleine «Fenster» in die Vergangenheit geöffnet. Dafür braucht es feineres Werkzeug, zum Beispiel eine kleine Maurerkelle. Die Entdeckung des bronzezeitlichen Messers war sogar ohne Werkzeug möglich. Bereits vor einiger Zeit war der Bronzefund durch die Wasserströmung an die Seeoberfläche gespült worden und versteckte sich lediglich unter einer feinen Schlammschicht. Diese wedelten die Taucher sorgfältig mit den Händen weg – schon war die Entdeckung des Messers perfekt. Übrigens: Wenn Sie selbst mit etwas Staubwedeln beim anstehenden Frühjahrsputz Ihres Estrichs, Wohnzimmers oder Kellers das eine oder andere vergessene Objekt freilegen und nicht wissen, wohin damit, dann melden Sie sich doch im Museum Burghalde. Vielleicht ergänzen Sie damit unsere Sammlung.
Bild: Sammlung Museum Burghalde Lenzburg Text: Irène Fiechter und Jonas Nyffeler vom 27.12.2020 für WeLoveLenzburg
Spielzeug am Laufband (Kolumne 9)
Schwebende Schaukeltiere, segelnde Trottinetts, fliegende Puppenwagen. Ein Plädoyer an eine Ikone aus der Kindheit.
Weihnachten steht vor der Tür, und auch dieses Jahr freuen sich besonders die Kinder auf ihre Geschenke: die Auswahl ist gross, und vom elektronischen Plüschhund bis hin zum Kinderlaptop ist alles zu finden. Neben den neuen Rennern gibt es die Klassiker, die seit Jahrzehnten zu den Verkaufsschlagern gehören und wohl auch nie aus der Mode kommen werden: Früher wie heute ist der Puppenwagen quasi als verkleinertes Imitat des echten Kinderwagens sehr beliebt. Kinderwagenfabriken stellten auch früher schon Puppenwagenmodelle her. Die Lenzburger Kinderwagenfabrik Wisa Gloria startete 1882 mit mechanischen Kinderwagen. Neben anderen Produkten wie Skiern – etwa auch um sie unter die Räder der Kinderwagen zu schnallen -, Mobiliar und Leitern, wurden bald schon die unterschiedlichsten Spielzeuge hergestellt. Produkte aus dieser Fabrik sind bekannt dafür, dass sie beinahe «unkaputtbar» sind. Obwohl die Wisa Gloria nach 110 Jahren 1992 ihre Tore definitiv schloss, werden die kleinen Lastwagen und Dreiräder seit 2009 in der Wisa-Gloria-Klinik Lenzburg liebevoll aufgefrischt und beglücken noch immer ihre kleinen Fans.
Bereits 1940 brachte die beliebteste Spielzeugfabrik der Schweiz einen Puppenwagen auf den Markt. So konnten damals kleine Mädchen stolz ihre Puppen im selben Modell neben Mamas grossem Kinderwagen ausführen.
Der Puppenwagen auf dem Bild wurde in den 1950er Jahren hergestellt und erinnert ein wenig an ein kleines Retro-Rennauto. Die Ähnlichkeit zum Motorfahrzeug kommt nicht von ungefähr. Zu dieser Zeit war die Nachfrage nach solchen sportlichen Kinderwagen gross. So ein Original von damals kann im Museum Burghalde zwischen anderen Kultspielzeugen von Wisa Gloria bewundert werden. Wie zu Produktionszeiten hängt der Puppenwagen an einem zahnradbetriebenen Lieferband. Bei Wisa Gloria wurden die Spielzeuge so von der Fabrik zum Versandzentrum transportiert. Im Museum drehen die Spielsachen nun im Dachstuhl ihre Runden.
Der Puppenwagen ist ein Spielzeug, das die Generationen überdauert hat. Das Aussehen mag sich von kutschenhaften Wägelchen zum Buggy gewandelt haben, der Zweck bleibt derselbe. Nach wie vor werden Stofftiere und Puppen darin ausgeführt und Kinder streiten sich darum, wer den Wagen schieben darf. Gewisse Dinge ändern sich wohl nie und erinnern heute noch an glückliche Kindertage.
Bild: Sammlung Museum Burghalde Lenzburg Text: Irène Fiechter vom 29.11.2020 für WeLoveLenzburg
Heisse Öfen, herrschaftliche Kacheln (Kolumne 8)
Flucht, Kunsthandwerk und Trunk. Französische Spuren im Museum Burghalde.
Muggelig warm ist’s vor so einem Kachelofen. Das wussten schon die Menschen früherer Jahrhunderte, wie das russische Novembersprichwort verrät. Wer das nötige Kleingeld hatte, liess sich einen schönen Ofen bauen. In Lenzburg gab es ab dem 18. Jahrhundert eine Manufaktur, welche kunsthandwerkliche Keramik herstellte, sogenannte Fayencen. Mit diesen prächtig bemalten Kacheln wurden unter anderem edle Öfen verkleidet. Im Museum Burghalde ist im ersten Obergeschoss ein kleines Holzmodell eines Kachelofens zu sehen. Die grosse Version davon steht heute noch im Müllerhaus in Lenzburg. Dass neben dem wunderbaren Ofen heute noch die Kuriosität von dem kleinen Modell existiert, ist sensationell.
Der Manufakturbesitzer Johann Jakob Frey baute 1785 eben jenen Ofen, von dem im Museum das Miniaturmodell steht. Den Auftrag erhielt er vom Besitzer des Hauses am Bleichenrain, Gottlieb Hünerwadel. Frey übernahm die Fayencemanufaktur von Marcus Hünerwadel, einem Coucousin von Gottlieb. Obwohl Freys Arbeiten, die ausschliesslich aus Tischgeschirr und Kachelöfen bestanden, hochgeschätzt wurden, blieb er zeitlebens bettelarm. Ob sein Talent mehr beim Handwerk und weniger beim Handel lag, sei hier dahingestellt.
Interessanterweise ist Freys Ofen im moderneren Empirestil gehalten, obwohl er gleichzeitig mit dem Müllerhaus entstand, welches noch der älteren Stilrichtung Louis XVI angehört. Das Goldrosa, mit dem der Ofen bemalt ist, hat Frey selber erfunden, er war in der Tat sehr bekannt für seine „Rosé mit Goldstich“-Fayence Kacheln. In den Herrschaftshäusern aus dem 18. Jahrhundert standen meist mehrere Kachelöfen. Sie dienten nicht nur als ästhetische Wärmeproduzenten, sondern waren auch eine Investition. Wurde das Geld der wohlhabenden Familien mal knapp, war es nicht unüblich, einen der aufwändig gebauten Öfen zu verkaufen. So wanderte ein weiterer Frey-Ofen 1890 aus dem Müllerhaus in die Vogesen und fand 1977 seinen Weg zurück nach Lenzburg ins Museum Burghalde. Ein Ausschnitt des Ofens ist auf dem Titelbild dieser Kolumne zu sehen. Auch im Müllerhaus ist im ersten Stock in einem Raum gut sichtbar, dass da an Stelle des verhältnismässig kleinen Kachelofens früher ein grösseres Modell stand. Freys Ofen ist zwar von edler Gestalt, was ihm aber fehlt, ist das gemütliche Ofenbänklein, auf dem man sich wohlig die Zeit vertreiben konnte. Andererseits kann sich beim Luxusmodell im Müllerhaus sicher niemand das Hinterteil verbrennen. Das aussergewöhnliche Miniaturmodell im Museum Burghalde vermag zwar keinen Raum zu wärmen, umso mehr erwärmt es jedoch das Sammlerherz!
Bild: Sammlung Museum Burghalde Lenzburg Text: Irène Fiechter vom 01.11.2020 für WeLoveLenzburg
Zielwasser und Hugenotten (Kolumne 7)
Flucht, Kunsthandwerk und Trunk. Französische Spuren im Museum Burghalde.
Unter den vielen Bijous, die im Museum Burghalde Lenzburg zu finden sind, glänzen zwei fein gearbeitete teilvergoldete Schalen. Gefertigt wurden sie Ende des 17. Jahrhunderts vom französischen Goldschmied Jean Poulet, der aus religiösen Gründen im Schweizer Exil lebte. Als Hugenotte wurde er mit seinen Glaubensgeschwistern seit dem 15. Jahrhundert in Frankreich verfolgt. Der Grossteil der Glaubensflüchtlinge floh in Richtung Deutschland, die Niederlande, England oder gar nach Südafrika. In der Schweiz blieben etwa 20’000 Hugenotten. Sie brachten neue Ideen und Produktionsweisen mit und kurbelten die Wirtschaft an. Uhrmacherei, Indienne-Stoffduck oder eben Kunsthandwerk wie Goldschmiedearbeiten waren Spezialitäten der tüchtigen Hugenotten. Der Name Hugenotten entstand übrigens aus einer Verunglimpfung: Wenn Franzosen versuchen «Eidgenossen» zu sagen, klingt das etwa wie «Üdgeno». Französisch geschrieben kommt das Wort Hugenotte heraus. Die französischen Protestanten wurden «Eidgenossen» (Hugenotten) genannt, als Anspielung auf die Protestanten in der Schweiz, vor allem Jean Calvin, der damals in Basel und Genf aktiv war.
Poulet hatte es nicht einfach, in der Schweiz definitiv Fuss zu fassen. Er kam zu einer Zeit nach Lenzburg, als die Hugenotten scharenweise in die Schweiz flüchteten. 1687 kamen an einem einzigen Tag 8000 Flüchtende in Genf an. Die Stadt hatte damals selber nur etwa 16’000 Einwohner. Die Lenzburger gestatteten Poulet zeitlebens nur das Wohnrecht, und so wurde er Bürger von Möriken. Doch auch dort konnte er nicht bleiben. Ein Zwischenfall mit seinem Sohn – dieser hatte angeblich ein uneheliches Kind gezeugt – zwang Poulet Möriken zu verlassen. Er zog mit seiner Familie nach Lausanne, wo er dann in hohem Alter verstarb. Von seiner Goldschmiedekunst sind der Stadt Lenzburg zwei Jagdschälchen geblieben.
Was ist aber genau eine Jagdschale? Aus der Jagdschale – oder im Deutschen auch Scheidebecher – wurde von den edlen Herrschaften des 17. Jahrhunderts vor der traditionellen Fuchsjagt ein letzter Schluck genommen. Die Jagdschale gehört also zum Auftakt der Jagd. Heute wird vielleicht keine Jagdschale mehr verwendet, aber die Tradition, einen Schnaps vor der Jagd zu trinken, gibt es immer noch. Der Begriff «Zielwasser» kommt sicher nicht von ungefähr. Der Schnaps soll, wie der Name schon sagt, helfen die Treffsicherheit der Schützen zu erhöhen.
Wollen Sie mehr zu den Hugenotten erfahren? Vom 23. – 25. Oktober finden die Kulturtage Lenzburg zum Thema «Francophonie» statt. An verschiedenen Orten in Lenzburg, zum Beispiel in der Neuen Burghalde, finden Angebote statt. Da fehlen natürlich auch die Hugenotten nicht!
Im Museum Burghalde finden sich neben den Jagdschalen noch weitere hugenottische Spuren. Wir verlosen deshalb 3 Eintritte zum Museum Burghalde. Eine E-Mail an info@welovelenzburg.ch mit Name, Vorname und Adresse und dem Betreff «I Love Üdgeno» bis Mittwoch, 30. September 2020, 23:59 Uhr, genügt, um mitzumachen. Die Gewinner/innen werden am Donnerstag, 1. Oktober 2020, bis 12.00 Uhr, benachrichtigt.
Bild: Sammlung Museum Burghalde Lenzburg Text: Irène Fiechter vom 30.8.2020 für WeLoveLenzburg
Rome und Julia im Aaargau (Kolumne 6)
Wurde mit einem historischen Kleid im Museum Burghalde eine Aargauische Romanze wiederentdeckt?
Das Kleidchen auf dem Titelbild wurde von einer Tochter wohlhabender Eltern vor rund 200 Jahren getragen. Es ist aus Baumwollstoff genäht und mit dem Indienne-Verfahren bedruckt. Die Besitzerin war Franziska Romana von Hallwyl. Indienne bezieht sich auf eine Drucktechnik, welche durch die 1685 aus Frankreich geflüchteten Hugenotten in die reformierten Gebiete der Schweiz mitgebracht wurde. Diese Technik etablierte sich in der Alten Eidgenossenschaft und erlebte eine über hundertjährige Blütezeit. In Lenzburg verhalf sie der Hünerwadel-Dynastie während 250 Jahren zu Ansehen und Wohlstand. Die Anfang des 17. Jahrhunderts errichtetete Indienne-Druckerei am Aabach war Jahre lang der grösste Manufakturbetrieb von Lenzburg und für viele Bürger und Bürgerinnen die Einkommensgrundlage.
Um die typisch kunstvoll farbigen Drucke zu produzieren waren viel Farbe und sogenannte Druckmodel aus Holz und Messing nötig. Gefärbt wurde in der Lenzburger Bleiche. Dieses Gebiet wurde neben «Klein-Venedig» auch «Türkei» genannt. Dies lag nicht etwa daran, dass dort besonders viele türkische Familien lebten, sondern weil sich eine Zeitlang Tüchlein in türkischroter Farbe grosser Beliebtheit erfreuten und diese dort produziert wurden.
Über das Mädchenkleid, welches mit eben dieser Technik bedruckt wurde, stiessen wir im Museum Burghalde auf eine längst vergangene internationale Beziehungsgeschichte. Und zwar diejenige von Franziska und Johann. Franziska Romana von Hallwyl stammte ursprünglich aus Österreich und wuchs in einem Wiener Palais auf. Als 1774 der verarmte 27-jährige Johann Abraham von Hallwyl, ein entfernter Verwandter von Franziska, zurück in den damaligen Berner Aargau ging, liess er die 15-jährige schwanger zurück. Unter abenteuerlichen und damals skandalösen Umständen – die sogar Anlass zu diplomatischen Verwicklungen gaben – schaffte es Franziska 1775 mithilfe ihrer Halbschwester in die Schweiz zu flüchten und Johann zu heiraten. Schon vier Jahre später verstarb Johann und hinterliess Franziska und ihren drei Söhnen Schulden und das Wohnrecht auf dem Wasserschloss Hallwil. Franziskas Leben blieb jedoch bis zu ihrem Tode spannend. Sie befreundete sich mit Anna und Johann Heinrich Pestalozzi und war an der Helvetischen Revolution, die 1798 ausbrach, beteiligt. 1836 starb Franziska Romana von Hallwyl als Ehrenbürgerin von Brugg auf Schloss Hallwil im Alter von 77 Jahren. Ihre Lebensgeschichte mag wie der Stoff eines Romans scheinen, um eine Romanze handelt es sich allerdings wohl nicht. Da sieht man mal wieder, dass sich hinter einem einzigen Objekt ganze Abenteuer verbergen!
Veranstaltungshinweis: 4. Oktober 2020, 14 Uhr, Museum Burghalde: Öffentliche Führung – Die bedeutende Lenzburger Textilindustrie
Bild: Sammlung Museum Burghalde Lenzburg Text: Irène Fiechter vom 30.08.2020 für WeLoveLenzburg
Sommer, Sonne, Schorle (Kolumne 5)
Ein kühles Getränk bei sommerlicher Hitze. Was wir heute noch lieben, war auch im letzten Jahrhundert begehrt.
«Oh, das ist ja gar kein Drehverschluss! Das ist ja ein Kronkorken. Hast du einen Flaschenöffner da?» «Klar, schau mal hier!» Die kleine Flasche ist eine exakte Nachbildung einer Flasche Apfelsaft, die in den Niederlanden, genauer gesagt in Breda, 1930 auf den Markt kam. Was hat das nun mit einem Flaschenöffner zu tun? Und überhaupt mit Lenzburg und dem Kuriositätenkabinett des Museum Burghalde? Ganz einfach: Die Nachbildung ist der Flaschenöffner! Drückt man auf den Kronkorken des Fläschchens, schnappt ein Flaschenöffner aus dem Flaschenboden. Das originelle Werbegeschenk befindet sich nebst unzähligen anderen Objekten in der Hero-Sammlung des Museum Burghalde.
Wie ein Werbegeschenk für einen holländischen Apfelsaft in die Hero-Sammlung in Lenzburg gelangte, hat sich folgendermassen zugetragen: 1921 packte Gustav Ferdinand Zeiler, Sohn einer der Gründer der Hero-Fabrik Lenzburg, seine Familie in seinen Daimler und fuhr den langen Weg in die Niederlande. Dort, in Breda, half er der 1914 gegründeten Tochtergesellschaft von Hero beim Aufbau des Exportgeschäfts. Er und seine Familie blieben drei Jahre lang und Hero Breda entwickelte sich zu einer modernen Produktionsstätte. Anno 1930 befand sich die niederländische Landwirtschaft in einer grossen Absatzkrise. Deshalb fragte die damalige Regierung die Hero in Breda direkt an, ob sie interessiert seien, die grossen Mengen an Früchten in die Produktion zu übernehmen. Parallel zu zwei anderen grossen Konservenfabriken begann die Hero Breda mit der Entwicklung eines Fruchtsaftgetränks für den holländischen Markt. Breda hatte den anderen beiden Konservenfabriken aber einen grossen Vorteil voraus. Sie hatten ein Schweizer Netzwerk, auf das sie zurückgreifen konnten. Unter absoluter Stillhaltung und im Geheimen, konnte die niederländische Hero-Tochter so möglichst schnell viel Know-how im Bereich der Apfelsaftproduktion erhalten. Es wurde getüftelt, experimentiert und in kürzester Zeit konnte ein marktfähiger Saft für die Kundschaft in den Niederlanden kreiert werden. So lancierte die Tochterfirma von Hero also bereits 1933 ein neuartiges alkoholfreies Getränk: den Apfelsaft Perl mit den hübschen Apfelblüten auf dem Etikett.
Und nun prost allerseits und schöne Sommertage!
Wer mehr zur Hero erfahren und Spezialitäten live sehen möchte, macht bei unserer Verlosung mit! Wir verlosen 3 Eintritt zum Museum Burghalde. Eine E-Mail an info@welovelenzburg.ch mit Name, Vorname und Adresse und dem Betreff «I Love Appelsap» bis Montag, 3. August 2020, 23:59 Uhr, genügt, um mitzumachen. Die Gewinner/innen werden am Dienstag, 4. August 2020, bis 12.00 Uhr benachrichtigt.
Bild: Sammlung Museum Burghalde Lenzburg Text: Irène Fiechter vom 02.08.2020 für WeLoveLenzburg
Aus dem HImmel geworfen - Heldentaten im Keller (Kolumne 4)
Das «Zepter der Gerechtigkeit», ein geflügeltes Pferd und ein Held, der den ultimativen Bösewicht besiegt. Was nach einer modernen Superheldengeschichte klingt, ist in Wahrheit ein Artefakt im Gewölbe des Museum Burghalde.
Tief unten im Museum reitet er hoch zu Ross: Erzengel Michael. Er ist abgebildet auf der Ikone – also auf einem Kult- resp. Heiligenbild – Erzengel Michael der Heerführer aus dem 18. Jahrhundert, und zwar als apokalyptischer Reiter. Michael reitet auf einem geflügelten Pferd, trägt eine Krone, bläst die Posaune, hält in der einen Hand ein Evangelienbuch hoch und mit der anderen sticht er mit seiner Lanze «Zepter der Gerechtigkeit» ins Höllenfeuer. Wie ein moderner Superheld siegt Michael über das Böse. In welcher modernen Kultfigur erkennen wir die Charakterisierung vom kühnen Michael mit wehendem Umhang bloss wieder? Richtig, in Superman. Normalerweise ist der Mantel des Erzengels ebenfalls rot, auf unserer Ikone aus unbekannten Gründen nicht. Wie Erzengel Michaels Erzfeind Luzifer kämpft auch Superman gegen seinen ultimativen Widersacher. Der Kampf zwischen den beiden Engeln ist ein wichtiger Teil in der Offenbarung des Johannes, der sogenannten «Apokalypse».
Erzengel Michael ist der Führer der heiligen Heerscharen. Er ist der Sieger über Luzifer, den aus dem Himmel verbannten Engel. Wie Michael findet auch Superman seine Bestimmung darin, für die Erdenmenschen gegen das Böse einzustehen. Der Kampf zwischen Erzengel Michael und dem Teufel in Gestalt eines Drachen ist denn auch ein Motiv, das auf Ikonen der Ostkirche oft umgesetzt wurde. Den Teufel als absoluter Bösewicht und ultimativer Gegner dürften wir wohl alle kennen. In der Ikonensammlung des Museums Burghalde ist er gleich mehrmals zu finden: Einmal in der Darstellung des Jüngsten Gerichts und zweimal in der Ikone Die Leiter des heiligen Johannes. Ausgerechnet auf dem Heiligenbild ist der Teufel aber nicht abgebildet. Trotzdem ist dank der typischen Darstellung sofort klar, wer hier «gestochen» wird.
Ikonen sind Kult- und Heiligenbilder, die meist auf Holztafeln mit wertvollen Materialien, zum Beispiel zu Pulver gemahlenen Edelsteinen, gemalt sind. Abgebildet werden auf solchen Ikonen neben Heiligen vor allem Figuren aus der Bibel sowie die Attribute und Symbole dieser Figuren. Neben den bei Erzengel Michael genannten Attributen gehören die Waage, ein Flammenschwert (statt der Lanze) und ein roter Mantel zu diesem Himmelsstreiter. Mit der Waage urteilt der Erzengel beim Tod einer Person über deren Seele und bestimmt so, ob sie in den Himmel kommt oder nicht.
Beim Betrachten des Heiligenbildes aus dem Gewölbe des Museum Burghalde können übrigens auch Parallelen zu Darstellungen von Georg dem Drachentöter gezogen werden. Dieser hat seinen eigenen Platz unter den Ikonen des Museums und bekämpft dort erfolgreich seinen Drachen.
Was sich sonst noch in den Tiefen des Museums befindet und wie Ikonen überhaupt ins Museum Burghalde gelangen, lässt sich beim Besuch der Ausstellung entdecken.
Wer die Ikonensammlung live sehen möchte, macht bei unserer Verlosung mit! Wir verlosen 3 Eintritt zum Museum Burghalde. Eine E-Mail an info@welovelenzburg.ch mit Name, Vorname und Adresse und dem Betreff «I Love Michael» bis Montag, 29. Juni 2020, 23:59 Uhr, genügt, um mitzumachen. Die Gewinner/innen werden am Dienstag, 30. Juni 2020, bis 12.00 Uhr benachrichtigt.
Bild: Sammlung Museum Burghalde Lenzburg Text: Irène Fiechter vom 27.06.2020 für WeLoveLenzburg
Kuriose Wurzeln und Schliffstopfenglas (Kolumne 3)
Von prähistorischen Werkzeugen zu versteinerten Überbleibseln längst vergangener Zeiten: Im Museum Burghalde erfährt das Publikum, wie unsere Vorfahren gelebt haben. Das Depot des Museums beherbergt Schätze, die der Öffentlichkeit jedoch meist verborgen bleiben. Was schafft es in die Ausstellung und was nicht – und warum?
Riesige Beine stampfen durch die karge Landschaft, lange Rüssel suchen unter Schnee nach Grasbüscheln und Farnsprösslingen. Der Permafrostboden taut auf, die riesigen Beine laufen Gefahr, im sumpfigen Untergrund einzusinken. Solche Szenen spielten sich in unserer Region vor etwa 15’000 Jahren ab. Es war das Ende der letzten grossen Eiszeit und das Land war von Pflanzen und Tieren der Altsteinzeit bevölkert.
Jahrtausende später, nämlich im Jahr 2000 stiess ein Baggerführer im Steinbruch der Kiesgrube beim Hörnizopf während Erdarbeiten auf eine versteinerte Wurzel, die seltsam wohlgeformt wirkte. Wegen ihrer Grösse passte sie nicht ins Wohnzimmer und so landete das Fundstück in seiner Garage, wo es vorerst einmal blieb. Fünf Jahre später wurde in der Klasse der Tochter des Baggerfahrers die Steinzeit behandelt und dazu besuchte ihre Primarklasse das Museum Burghalde. Die aufgeweckte Schülerin nahm bei diesem Ausflug den Fund ihres Vaters mit und zeigte ihn dem Museumspersonal. Der damalige Archäologiekurator staunte nicht schlecht, als ihm da von Kinderhänden prähistorisches Elfenbein entgegengestreckt wurde! Der Fund war keine versteinerte Wurzel, sondern ein Stosszahn eines Mammuts. Er war (und ist noch) zwar in zwei Teile zerbrochen aber sonst noch sehr gut erhalten. Nun ist er fachgerecht konserviert und kann in der archäologischen Ausstellung des Museum Burghalde bewundert werden.
Von diesem eiszeitlichen Riesen ist nun ein Zahn in der Ausstellung des Museums zu finden. Im Verbogenen des Depots lassen sich viele weitere Schätze bergen, welche in den letzten Jahrzehnten teilweise auf nicht weniger abenteuerliche Weise ihren Weg in die Burghalde gefunden haben. Zwischen Tonlämpchen, Feuersteinen und prähistorischen Pfeilspitzen steht eine ganz besondere Kuriosität: Eingelegt in Alkohol in einem sogenannten Schliffstopfenglas (einem formgeblasenen Glasbehälter mit einem «Stopfen» als Verschluss) schwimmt ein Stück echtes Mammutfleisch. Wir verzichten auf die öffentliche Präsentation dieses prähistorischen Stücks nicht etwa deswegen, weil es so unappetitlich aussieht, sondern weil dieses Mammut in Sibirien gelebt hat und nicht in unserer Region. Das Fleisch stammt noch aus der früheren Sammlung, als sich das Museum noch im alten Landgericht befand. Damals wurden für das Museum auch Objekte ohne Ortsbezug erworben. Die kuratorische Praxis hat sich aber mit den Jahren geändert: Heute werden nur noch Exponate in der archäologischen Ausstellung gezeigt, die in der Region gefunden wurden. Wer weiss, vielleicht hat ein prähistorischer Vorfahre von ihnen eine Feuersteinklinge, die heute im Museum ist, tatsächlich benutzt, um damit Fleisch zu schneiden?
In der 2018 neu eröffneten Dauerausstellung und in den wechselnden Pop Up-Ausstellungen zeigt das Museum Burghalde eine breite Palette von Themen zur Stadtgeschichte. Das Erdgeschoss ist der Urgeschichte rund um Lenzburg gewidmet. Hier finden Sie den Mammutzahn, eingelassen in eine Bodenvitrine. Am 9. Juni öffnet die Burghalde ihre Türen wieder für das Publikum.
Bild: Sammlung Museum Burghalde Lenzburg Text: Irène Fiechter vom 24.05.2020 für WeLoveLenzburg
Zweifel in Lenzburg (Kolumne 2)
Über Wein und Klötze «Made in Lenzburg»
Ich sitze Zuhause und die Kinder in der Nachbarschaft sind seit zwei Stunden ununterbrochen auf ihrem Riesentrampolin. Sie haben Game-Verbot; kein «Fortnite» und auch kein «Animal Crossing». Was hätte dieser Lockdown wohl früher bedeutet? Wie haben sich Kinder vor über 100 Jahren bei Hausarrest die Zeit vertrieben?
Diese Frage stellten sich schon im Jahre 1915 nicht nur Kinder. Carl Zweifel, ein Lenzburger Architekt und Sohn von Alfred Zweifel, auf den hier noch eingegangen wird, war bedeutend für Lenzburg und man könnte sogar sagen für die ganze Welt! Eine schweizerische Spielzeugindustrie gab es in dieser Zeit noch nicht und so schrieb der Schweizerische Werkbund einen Wettbewerb, für Spielwarenentwürfe aus. Architekt Zweifel tüftelte dafür zwischen zwei Militärdienstzeiten im ersten Weltkrieg an einem Holzbaukasten herum. Nach langem Experimentieren entschied er sich für knapp 50 verschiedene Bauelemente und begann selber damit zu spielen. Als er mit 3000 Klötzchen eine Fläche von zwei auf drei Metern bebaut hatte war er vom Resultat überrascht. «Trotz der wenigen Formen von Bauelementen konnte ich ganze Städte aufbauen.»
Er reduzierte seine ‘nur’ 50 Teile nochmals auf ein kleineres Sortiment und entwarf drei verschiedene Baukästen, die sich gegenseitig ergänzen sollten. So konnten Städte oder Dörfer gebaut werden. Wer alle drei (später sogar vier) Kästen hatte, war natürlich komplett ausgerüstet, um ganze Ortschaften zu entwerfen. Zweifel’s Schweizerstädtchen war ein voller Erfolg und wurde durch den schweizerischen Werkbund ausgezeichnet. So entstanden über Jahre in vielen Schweizer Wohnzimmern ganze Siedlungen und die Eltern konnten frühmorgens auf einsame Holzklötze treten, schon bevor die Legosteine Ende 1930er Jahre aufkamen. Als Zweifel an der Basler Mustermesse seine Städte- und Dorfbaukästen ausstellte, wurde sein Produkt weltberühmt. Seine Spielsachen wurden so erfolgreich, dass Carl sich statt dem Hausbau ganz dem Spielzeughäuschenbau widmete. Im obersten Stock des Museum Burghalde ist so ein Original Zweifel-Bausatz mit Skizzen und Modellen ausgestellt. Carl war sozusagen einer der Mitgründer der Schweizer Spielzeugindustrie und der Baukasten war ohne Zweifel ein Erfolg!
Die Familie Zweifel war in Lenzburg übrigens schon länger bekannt und zählte nicht nur Kinder zu ihrer geschätzten Kundschaft. Auch für Erwachsene gab es attraktive Produkte aus dem Hause Zweifel. 1889 von Carls Vater, Alfred Zweifel eröffnet, hatte die Weinkellerei damals schon einen guten Namen. Die Kellerei sah aus wie eine spanische Bodega, mit Fassadenmalereien im maurischen Stil. Das Medaillon unter dem Rundgiebel des Gebäudes zeigt einen Leuchtturm (span. Faro) und wurde zum Markenzeichen der Weine. An all das erinnert der heute noch erhaltene Fassadenabschnitt der ehemaligen Malagakellerei beim Erlengut-Tunnel. Während sich die Kinder also mit dem Bauen neuer Städte die Zeit vertrieben, konnten die Erwachsenen dem spanischen Malaga-Süsswein der Zweifels frönen. Im Museum Burghalde darf man diese edlen Tropfen zwar nicht degustieren, aber mit den Augen geniessen.
Wir verlosen 3 Eintritte für das Museum Burghalde unter denen, die den Baukasten und den Wein sowie viele weitere spannende Objekte live sehen möchten, sobald das Museum wieder offen hat (8. Juni 2020). Eine E-Mail an info@welovelenzburg.ch mit Name, Adresse und dem Betreff «I Love Zweifelbaukasten» bis Mittwoch, 29. April 2020, 23.59 Uhr, genügt, um an der Verlosung teilzunehmen. Die Gewinner/innen erfahren von ihrem Glück bis Donnerstag, 30. April 2020, 12.00 Uhr.
Bild: Sammlung Museum Burghalde Lenzburg Text: Irène Fiechter vom 26.4.2020 für WeLoveLenzburg
Das Seifenköfferchen – oder die Geschichte von Herrn Hüsermann (Kolumne 1)
Erlaubt mir, etwas auszuholen, bevor ich diese erste komische Geschichte erzähle: Seife gibt es schon ewig. Genauer gesagt, wird Seife erstmals bei den Sumerern in einem Keilschrifttext erwähnt. Daraus geht hervor, dass Seife damals als Heilmittel angewendet wurde.
Um nun den Link zu Lenzburg zu machen: Mit ihren Medizinalseifen wurde die Savonnerie de Lenzbourg – in der Region auch unter dem Namen «Seifi» bekannt – etwa 4700 Jahre später erfolgreich. Bald wurden in der Lenzburger Seifenfabrik auch Kernseifen und Seifenflocken hergestellt. Als nach dem zweiten Weltkrieg Waschautomaten für den Haushalt aufkamen und auch noch synthetische waschaktive Substanzen erfunden wurden, verringerte sich der Bedarf an Medizinal- und Kernseifen stark, so dass die Geschäftsleitung der «Seifi» eine strategische Neuausrichtung beschlossen und fortan Spezialartikel wie hochwertige Toilettenseife und andere exotische Produkte fabrizierte. Und da kommt nun eben jenes Seifenköfferchen des Herrn Hüsermann ins Spiel.
Herr Hüsermann war Vertreter, aber nicht etwa Staubsaugervertreter, nein, Herr Hüsermann hatte den Auftrag erhalten, die Seifen der «Seifi» unters Volk zu bringen.
Vertreter, die von Tür zu Tür gehen, waren ja bekanntlich nicht immer willkommen. Aber Herr Hüsermann hatte den Dreh irgendwie raus und wurde in jedem Haushalt herzlich empfangen. Bei einer guten Tasse Kaffee stellte Herr Hüsermann dann jeweils sein blaues Hartplastik-Köfferchen sorgfältig auf den Tisch und präsentierte seine seifigen Kleinode. In diesem Köfferchen zeigte sich Sauberkeit in den unterschiedlichsten Formen. Verschiedene Seifenstücke, alle kreiert für ihre eigene Zielgruppe: Passend zur Mondlandung musste natürlich eine Rakete «für Mondfahrer» in der Sammlung sein. Für Leidende «Nach dem Katzenjammer», für Don Juan der «Herzensbrecher» oder ein rosa Apfel «für Vegetarier». Das passende Produkt gab es auch für «Fussballer-Bräute» und für «Wimbledon-Sieger». Die Hausfrauen liebten Herrn Hüsermanns Seifen und so wanderte er seit den 1960ern für 20 Jahre sämtliche Türen weit über Lenzburg ab. Klar, dass da auch das eine oder andere Frauenherz für ihn schlug. Herr Hüsermann selbst hatte sich ebenfalls verliebt: In das rundliche, orange Nilpferd in seiner Kollektion.
So oder ähnlich könnte sich die Geschichte rund um den Koffer zugetragen haben.
In der neuen Sonderausstellung «Saubere Sache» kann der Seifenkoffer – sobald das Museum Burghalde wieder offen ist – bewundert werden. Die Ausstellung findet sich in eben jener «Seifi», in der früher die präsentierten Seifen hergestellt wurden. Das Museum Burghalde hat 37 Jahre nach der Schliessung der Fabrik den ‚Betrieb‘ erneut aufgenommen. Als Hommage an die «Seifi» wurden extra für die Ausstellung drei neue, wunderbare Seifen kreiert.
Bild: Sammlung Museum Burghalde Lenzburg Text: Irène Fiechter vom 28.03.2020 für WeLoveLenzburg