Ecken und Kanten (Kolumne 3/2025)

Letzten Freitag eröffnete unsere erfolgreiche Ausstellung «Schatzkammer Wald», nun zu Gast und erweitert im NMB Neues Museum Biel. Beim Nachdenken über die Vernissagerede kam wie beim Drechseln der Förster als Idealbild von Mensch zum Vorschein. Eine kurze Hommage also an unsere holzigen Zeitgenossen – mit geflügelten Worten und einem Augenzwinkern: Ohne Förster wäre unsere Welt nicht halb so gut. Okay, Förster mögen keine Schmeicheleien und Streicheleinheiten; da wird gehackt, geschlagen und gesägt. Sie sind wahre Philosophen: Keiner sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Wenn nicht gerade der nächste Stamm fällt, dann herrscht wörtlich Schweigen im Walde – bis auf eine Motorsäge, ganz fern im Wald.

Forstarbeit ist so populär, Motorsägen haben’s sogar auf die internationale Politbühne geschafft. Kommt davon, wenn sich Präsidenten wie die Axt im Wald benehmen!). Aber back to the försters: Ihr kritisches (Holz)auge ist bestechend: Sie prüfen ihre Geschäftspartner, ob sie etwas auf dem Kerbholz haben. Ja, Förster sind empathisch, denn sie wissen: Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus. Von Förstern sollte man sich eine dicke Scheibe absägen, denn ein wahrer Kamerad ist aus demselben Holz geschnitzt. Sie sind bescheiden und geerdet und ihnen ist klar, dass sie eine Arbeit leisten, die über ihre eigene Lebenszeit hinausgeht. Wer den Baum gepflanzt hat, geniesst selten seine Frucht. Und wer Bäume setzt, obwohl er weiss, dass er nie in ihrem Schatten sitzen wird, hat zumindest angefangen, den Sinn des Lebens zu begreifen. Womit wir bei der Sinnhaftigkeit unserer (Wald-)Kulturarbeit wären.

Ja, der Wald ist en vogue. Drum zelebrieren wir die Schatzkammer Wald, etwa in Form von Murmeln aus Lenzburger Holz. Übrigens: Juhu, die Murmelbahn ist ab 1.4. wieder offen! Und unsere Stammtische in Koop. mit den Forstdiensten Lenzia findet ab 22.5. fix in der Waldhütte Römerstein statt. Agenda auf: www.museumburghalde.ch.

«Schatzkammer». Hier stellen Mitarbeitende des Museum Burghalde Lenzburg spannende Geschichten und originelle Fundstücke vor.

Text: Marc Philip Seidel 03.04.2025 für Lenzburger Bezirks Anzeiger

Schatzkammer

Spannende Geschichten und originelle Fundstücke aus Lenzburgs Estrichen, Kellern und Waldungen werden hier von Mitarbeitenden des Museum Burghalde vorgestellt.

Die Kolumne im Lenzburger Bezirks Anzeiger erscheint ab Januar 2023 in der Regel monatlich.

Hampel*innen (Kolumne 2/2025)

Marionetten sind ja aktuell hoch im Kurs. Zweifellos und nicht zu übersehen, überall, in den News und tagesaktuell. Digital und live gestreamt, Socken-, Stab- und Gliederpuppen, Kasper, Clowns, Karikaturen.

Alt, uralt, weltweit beliebt sind und waren Puppen und das Possenspiel. Erfreuten sich schon die Hellenen – so Archäologen – sogenannter «Neurospasmata» – vor den Tempeln; Pharaonen im Land der Pyramiden. Gleich gebaut mit Sehnen/Fäden, Gliedern, Attributen, seit Jahrhunderten; bei den Chinesen, Indern und Burmesen. «Opera dei Pupi» auf Sizilien, im Iran «Kheimeh Shab Bazi». Die nächtliche Show in einer Puppenbude: Gut getrickst, gekonnt gespielt verzaubern Puppen, Scaramouche und Pulcinella Klein und Gross – mit Orchester, Trommelwirbel und Gefolgschaft im Theater. Wahre Künstler der Romantik liessen Marionetten schweben. Die Schwerkraft ausser Kraft gesetzt. In der Manege, fasziniertes Publikum, getäuscht vom meisterlichen Spiel – von Spielern, Spielerinnen.

Ach Mensch! Wie verblüffend ist das Hampelspiel, kindlich fröhlich in der Oper. Welch Theater, traurig, bitter ernst auf grosser Bühne: Oval Office, Roter Platz, Gaza, Kumsusan – Palast der Sonne. Bunt schillernd flimmernd, Schlag auf Schlag, Trumpf um Trumpf, Zug um Zug, wie ein Kartenspiel, abgekartet, ausgehandelt, blind? Wenn im Marionettenstaat Hampel*innen hampeln; Strohmänner, Drahtzieher, Hintermänner gaukeln, schaukeln, drehen Facts zu Fake, Wahrheit spielt gar keine Rolle. Trolle, Avatare, Deep Fake, grosses Kino, leider nicht im Sinn «Blockbuster», sondern aufgeblasen. Potemkinsches Dorf!

Die Moral von der Geschicht? Die Fabel schrieb schon Margaretha Kieser (1829–1901), Lenzburgs Dichterin: Hampelmann: «Ja, ja, ich bin’s, schaut mich nur an. Ich bin der Herr von Hampelmann! Ich treib gar eine schöne Kunst und bitt’ daher um eure Gunst!». Kinder: «Was Kunst? Du schlenkerst nur das Bein, verstehest das auch nicht allein! Wer gar nichts aus sich selber kann, den nimmt man nicht als Künstler an!» Wem das nicht klar genug, den klärt auf ihr Lebensspruch: «Rede und nid dänke isch fahre, ohni z länke».

«Schatzkammer». Hier stellen Mitarbeitende des Museum Burghalde Lenzburg spannende Geschichten und originelle Fundstücke vor.

Text: Marc Philip Seidel 20.02.2025 für Lenzburger Bezirks Anzeiger

Zeitreisen (Kolumne 1/2025)

Ein genussvolles Museumsjahr darf sich nun, den winterlichen Temperaturen entsprechend, in die Winterdecke hüllen und den Jahreskreis als Gelegenheit nehmen für einen erfüllenden Rück- und Ausblick: Dass uralte Geschichten zum lebendigen Erzählgut werden, die Verschränkung von Tradition und Innovation erquickend neue Wege ermöglichen kann, hat sich im Rahmen des Themenjahres «Sagenzauber» exemplarisch gezeigt. Die Begleitpublikation verortet damit Lenzburgs immaterielles Kulturgut auch in Buchform. Der Sprung durch Zeiten, Realitäten und Seiten wird uns auch im 2025 beschäftigen. Unser Stiftungsrat und alt Stadtschreiber Christoph Moser hat uns nicht erst mit seinen Kolumnen etliche Fenster in vergangene Zeiten ermöglicht. Sein Vermächtnis für Lenzburg wird Ende April in gedruckter Form gebührend vorgestellt. Als Kooperationsprojekt mit der Stadt Lenzburg entstanden, dient auch der letzten August erschienene Führer «Kunst in Lenzburg» als Wegweiser zu Lenzburgs reichem Erbe. Ab Oktober ziehen uns die Künstlerin Clara Müller und Lenzburgs Powerfrauen in ihren Bann.

«Lenzburgs Schätze»
Sie lassen sich nicht nur in unserem Stadt- und Regionalmuseum entdecken, sondern nun auch im druckfrischen Katalog. Die «Geschichten, Sammlungen und Trouvaillen», so der Untertitel, erlauben imaginäre Reisen rund um Lenzburgs DNA. Aufgeführt sind etwa Persönlichkeiten aus Bildung, Gesellschaft und Kultur mit einem runden Lebensdatum wie der vor 200 Jahren geborene Oscar Tanner-Jeannot, Inhaber der Seilerwarenfabrik, später Mammut; die Schriftstellerin Martha Ringier (150 Jahre) und der Mitbegründer der Lenzburger Neujahrsblätter und erster Präsident des heutigen Museums, Nold Halder (125 Jahre). Dass diese Sammlung der Vollständigkeit im Buch entbehren muss, liegt auf der Hand. Die darin fehlenden Persönlichkeiten, wie der Theologe und erster Direktor der JVA, Johann Rudolf Müller (* 1824), oder der Architekt Ernst Hünerwadel (verstorben 1924), lassen erahnen, wie viele weitere Schätze und Zeitreisen uns künftig noch erwarten.

«Schatzkammer». Hier stellen Mitarbeitende des Museum Burghalde Lenzburg spannende Geschichten und originelle Fundstücke vor.

Text: Marc Philip Seidel 16.01.2025 für Lenzburger Bezirks Anzeiger

Schhh… (Kolumne 11/2024)

Kennt Ihr! Am Schreibtisch sitzen, die Fingerchen angewinkelt, bereit zum Lostippen, doch … schhh Schhhh, Schöner Sch..reibschhhtau. Nix geht. Aufstehen und die Flucht ergreifen? Nö. Prokrastination lässt grüssen. Also besser dem Damoklesschwert trotzen, am Pult aushalten. Nur für einen Moment – okay, ist nicht so einfach, Ritalin, Duracell und Hamsterrad sind schuld – doch es geht gar nicht lange, weil: «Es ist wirklich erstaunlich, was einem alles so einfällt, wenn man am Schreibtisch sitzt und keine Einfälle hat.» Schlau, dieser Spruch von Joseph Conrad (Namen später mal googeln. Eben: Aushalten! Nicht abschweifen.) Zurück zum Auftrag: Kolumne für LBA, zu Lenzburg, Museum, Bildung, Kultur, … ah! ... Pestalozzi ... kürzlich wieder aufgeschnappt: «Mit Herz, Hand und Verstand» und gestern realisiert: Diese Worte stammen aus seiner «Lenzburger Rede» vor über 200 Jahren. Lenzburg? Ja! Einst Bildungshochburg (vor Wettingen!) mit Lippe, Stapfer, Pfeiffer und Keller: Alles klingende Namen rund um Lenzburgs Vorreiterrolle in der Bildung, mit Strahlkraft, gar in die Schweiz und darüber hinaus. Pestalozzi ist keineswegs gestorben!


Seine geflügelten Worte haben ihre Gültigkeit bewahrt und spiegeln sich etwa in der musealen Bildungsarbeit wider. Überzeugung, Hingabe und Vertrauen mit Breiten- und Tiefenwirkung. Das steckt im ganzheitlichen Bildungsansatz. Als ausserschulischer Lernort ist das Museum gar Bildungsschatzkammer und Erlebnisort zugleich. Anknüpfungspunkte sind bei Kindern kein Problem, weil offen und neugierig. Das Museum als kollektives Gedächtnis bietet aber noch mehr: von der Schnellbleiche und Kreativimpuls für Getaktete inklusive Geheimtipp-Museumscafé. Dauerbehandlung mit Langzeitwirkung für die Angefixten. Beide Varianten gibts täglich zu den Öffnungszeiten oder bald im druckfrischen Museumskatalog. Vernissage am 16. Dezember beim Gönneranlass. Gönner werden ist übrigens ganz einfach. Zum Beispiel bei einem Kafi im Museum.

«Schatzkammer». Hier stellen Mitarbeitende des Museum Burghalde Lenzburg spannende Geschichten und originelle Fundstücke vor.

Text: Marc Philip Seidel 21.11.2024 für Lenzburger Bezirks Anzeiger

LiLö? Es werde Licht (Kolumne 10/2024)

Ein anderer Blick vermag ab und an eine Seite zu beleuchten, die bis anhin im Dunkeln lag. Wie oft geht da ein Licht auf, wenn endlich das Verborgene im rechten Licht erscheint? Logo, dafür muss man keine Leuchte sein. Spannend ist der Gedanke schon, hat doch gerade der verborgene Aspekt seinen Reiz, der Neugier weckt. Hingegen langweilt rasch, was allen zugänglich ist. Dabei ziehen Hotspots Menschenscharen wie Motten ans Licht. Was bleibt mehr als ausgetrampelte Pfade, kaputte Wiesen, «lame» Wesen. «Insta-Moments» als Versatzstück: Gotthard-Blechlawinen, Amalfiküste-Ölsardinen, Gondola-Gaukelei durch Venedig. Tiktok, Tiktok! Es hupt! Gelobt seien Lärchenhorst und Arvenwäldchen in der Heimat. Sieh, das Schöne liegt so nah! Handkehrum: Wie oft haben wir’s selbst nicht geblickt, lag das Gesuchte doch direkt vor den Augen! Smartphone, Autoschlüssel, andere denken da an die Liebe. Gesucht und gesucht, einfach nicht gefunden! Weil unter Strom, im Rädchen oder blind vom Glanz. Einerlei, wenn kein Funke springt und nichts zum Leuchten bringt!

Nicht anders, so scheint’s, was auf der Politweltbühne flackert, wo Trug mehr scheint, als Schein uns trügt: Ist bald Lichterlöschen?!? Gedankenkarussell! Make peace, nid wahr! Nur: Was vermag die eigene Ohnmacht zu ent-lähmen? Überschattet vom Overkill der Überflut? Ein anderer Blick! Am besten gleich in eine neue Richtung! Weg vom Flimmerscreen, hin zum Musentempel, hinein in den Sagenzauber, in der Schatzkammer, ausgekleidet mit den Brettern, die die Welt bedeuteten, da, wo grosse Geister zum Entdecken laden, wahre Leuchten Nimben haben.

«Alles, was es braucht, sind Märchenaugen, dann ist die Welt voller Wunder.»

Wieder mal staunen? Mit der Taschenlampe durchs Museum Burghalde? Augenschmaus im Museumskino? Am Samstag, 2. November, ist wieder «Helle Nacht»: Industriekultur im Aargau – gestern, heute, morgen.

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Text: Marc Philip Seidel 24.10.2024 für Lenzburger Bezirks Anzeiger

Spielkinder - Kinderspiel (Kolumne 9/2024)

«Willkommen im Abenteuerpark Kindererziehung, wo Holzspielzeug die Hauptattraktion ist! Hier wird das Spielen zum Erlebnis und die Fantasie angeregt!

Man stelle sich einen riesigen Holzspielplatz vor, der wie ein verwunschenes Schloss aussieht. Da klettern Kinder über klobige Holzklötze, die wie Berge wirken. Dabei erzählt jedes Stück Holz eine Geschichte – von mutigen Rittern, die gegen Drachen kämpfen, bis hin zu kleinen Entdeckern, die unbekannte Länder erkunden.

Und das Beste? Die Holzspielzeuge sind nicht nur umweltfreundlich, sondern auch langlebig. Holzspielzeug fördert die motorischen Fähigkeiten! Kinder können mit den bunten Bausteinen ihre eigenen Welten erschaffen. Es gibt keine Regeln, nur grenzenlose Möglichkeiten. Mit diesem Holzbaukasten ist jeder Tag ein neues Abenteuer, und mit Holzspielzeug wird die Kindererziehung zu einem unvergesslichen Erlebnis voller Freude, Kreativität und einer Prise Chaos!»

Etwa so oder ähnlich könnte der Werbetext für den berühmten Schweizer Baukasten gelautet haben. Viel Werbung brauchte Carl Zweifels Erfindung jedenfalls nicht. Lange vor Lego, Playmobil & Co. war das Konzept mit reformpädagogischem Gedankengut derart erfolgreich, dass sich der Lenzburger Architekt nach der Prämierung des Schweizerischen Werkbunds 1915 vollends der Spielentwicklung zuwandte. Übrigens: Jungen und Mädchen wurden gleichberechtigt damit adressiert.

Dem Designer blieb mit seinem Erfolg reichlich Zeit für die «Contemplation»: In Aquarell und am Zeichenbrett entstanden über die Jahre wunderbare Interieurs und Stadtansichten von Zweifels Geburtsstadt Lenzburg.

Eine schöne Auswahl an künstlerischen Arbeiten findet sich in der aktuellen Pop-up-Ausstellung im Museum Burghalde. Ob Sie alle Gebäude auf den Jugendstil-Postkarten erkennen?

«Schatzkammer». Hier stellen Mitarbeitende des Museum Burghalde Lenzburg spannende Geschichten und originelle Fundstücke vor.

Text: Marc Philip Seidel 26.09. 2024 für Lenzburger Bezirks Anzeiger

Kunst? Alles Käse? (Kolumne 8/2024)

Anekdoten über Kunst oder Müll gibt es ein paar schöne. Ein berühmtes Missverständnis aus der Kunstwelt dreht sich um die «Fettecke». Etwa wurde eine künstlerisch mit Fett, Mull und Heftpflastern verzierte Kinderbadewanne des Künstlers Joseph Beuys irrtümlicherweise gereinigt und zum Bierkühlen verwendet. Klar, dass die Bierparty teuer ausfiel. Dann füllte eine Rentnerin in einem Museum in Nürnberg ein Kreuzworträtsel mit ihrem Kugelschreiber aus. Den Tumult konnte sie nicht verstehen, hatte sie doch bloss Anmerkungen auf dem Werk zum Anlass genommen, das Rätsel zu lösen … Und in Lenzburg fragte eine Reinigungskraft den vormaligen Sammlungsleiter hinsichtlich der Wisa-Gloria-Schaukeltiere, die zur Raumreinigung zwischenzeitlich im Gang ausgelagert waren: «Brauchen noch oder kann mitnehmen?»

Über die Frage, was Kunst ist und woher Kunstschaffende ihre Inspiration nehmen, haben sich mehrere Philosophen- und Künstlergenerationen den Kopf zerbrochen. Ganze Kompendien wurden mit kreativen Antworten gefüllt. Fragt man die künstliche Intelligenz, wirds ganz erhellend: «Wenn Sie sich fragen, wo die Künstler von Lenzburg ihre Inspiration finden, die Antwort könnte nicht einfacher sein: Im Kühlschrank! Denn was wäre kreatives Schaffen ohne ein gutes Stück Käse. (…) Aber keine Sorge, die Lenzburger Kunstszene hat auch ihre Stars. Da gibt es den Künstler, der behauptet, seine Skulpturen seien ‹von den Sternen inspiriert›. (…) Man muss ihm lassen, dass er den Mut hat, seine ‹kosmische› Vision mit der Welt zu teilen», gibt der Denkroboter preis. Die Frage, was Kunst ist, lässt sich also nicht abschliessend beantworten. ChatGPT kommentiert gar: «Eins ist sicher: Kunst liegt im Auge des Betrachter – oder zumindest im Weg, wenn man nicht aufpasst.»

PS: Den neuen Guide «Kunst in Lenzburg» gibts zum Beispiel im Museum Burghalde, im Rathaus, gedruckt und online.

«Schatzkammer». Hier stellen Mitarbeitende des Museum Burghalde Lenzburg spannende Geschichten und originelle Fundstücke vor.

Text: Marc Philip Seidel 25.07.2024 für Lenzburger Bezirks Anzeiger

Tierische Kunst (Kolumne 7/2024)

Tiere sind des Menschen Freund, lautet eine alte Weisheit. Und das seit Menschengedenken, gar über den Tod hinaus: Die kunstvollen Grabfunde aus Lenzburgs römischer Zeit zeugen von der Verehrung der Tiere: Einen halben Zoo mit Säulein, Vögeln, Hirsch, Hase und Hunden gab einst bei Ausgrabungen das Lindfeld preis. Herausragende Funde stellen aber die beiden Panther – es sind die Griffe der Bronzekannen – im Museum Burghalde dar. Eine andere Zoo-Belegschaft mit Bambi, Elefant, Kamel, Schwan und Schaukelschnegg aus Lenzburger Manufaktur eroberte so manches Kinderzimmer. Auf der Pirsch durch das Museum Burghalde lassen sich mit etwas Glück diverse exotische Tiere aufspüren: Da überraschen Eisbären die Polarforscher mit Hero-Büchsen, fliegende Pferde mit Feuerwagen auf einer Ikone und Einhörner auf einem Wappenschild. Welcher Spassvogel hat sich eigentlich als singenden Delphin auf einer alten Tonkachel verewigt? Es war der Lenzburger Ofenbauer Johannes Seiler im Jahr 1770.

Ein oder eher mehrere Vögel entsprangen einst dem Lenzburger Bildhauer Peter Hächler: Nämlich zwei bronzene an der Zeughausstrasse (im Innenhof des reformierten Kirchgemeindehauses und auf dem Pausenhof der Schulanlage Lenzhard) sowie ein stolzes Steinexemplar als Krönung des Güggelbrunnens (Burghaldenstrasse).

Wer sich in der musealen Schatzkammer umschaut und sich auf die Suche nach dem künstlerischen Skulpturenschatz durch Lenzburg macht, wird reich belohnt: nicht nur die Vogelschar wartet auf. Wo sich die Bremer Stadtmusikanten, Not Vitals Kamelkopf, die Rehbank und unzählige weitere abstrakte, minimalistische, leuchtende und sprudelnde Kunstwerke im öffentlichen Raum befinden, verrät der erste Lenzburger Kunstführer; druckfrisch und reich bebildert. Das wundervolle Kooperationsprojekt wird am 24. August um 11 Uhr im Teegarten im Widmipark präsentiert. Anschliessend Apéro und Kunstführungen. Der Guide ist ab dann digital und gedruckt kostenlos erhältlich.

«Schatzkammer». Hier stellen Mitarbeitende des Museum Burghalde Lenzburg spannende Geschichten und originelle Fundstücke vor.

Text: Marc Philip Seidel 25.07.2024 für Lenzburger Bezirks Anzeiger

Nostalgische Schätze (Kolumne 6/2024)

Beim Anblick eines alten Schwarz-Weiss-Fotos kann uns ab und an ein Gefühl der Melancholie überwältigen. Etwa dann, wenn uns ein Bild in vergangene Zeiten versetzt und vielleicht lange vergessene Erinnerungen zum Leben erweckt. In einer Welt, die an digitalen Bilderfluten erstickt und zugedröhnt mit Filter-Exzessen halluziniert, bergen alte Schwarz-Weiss-Fotos etwas Magisches und Befreiendes in sich.«Schatzkammer». Hier stellen Mitarbeitende des Museum Burghalde Lenzburg jeweils spannende Geschichten und originelle Fundstücke vor.

Dabei kommt Schwarz-Weiss-Fotos etwas Besonders zu, denn sie scheinen die Nostalgie auf eigenartige Weise festzuhalten. Es mag an der Abwesenheit von Farbe liegen, sodass sich mit jedem Papierbild ein Fenster zur Vergangenheit auftut. Jede Linie, jeder Schatten ist Teil der Komposition. Die Einfachheit und die Raffinesse machen diese Bilder zu kleinen poetischen Kunstwerken, die auch nach Jahrzehnten ihre Anziehungskraft nicht verlieren. Vielleicht liegt es auch an der Seltenheit des Abzugs, der in einer Zeit entstand, als Fotografieren noch unerschwinglich war. Es ist, als erzählte jedes Foto aus Grossmutters Zeiten eine eigene Geschichte mit eigener Atmosphäre und liesse uns eintauchen in eine Welt, die so nicht mehr existiert, aber dennoch in der Erinnerung weiterlebt. Ihre Schönheit gründet sicherlich auch in ihrer künstlerischen Ausdruckskraft, die durch Licht und Schatten und Harmonien die Szenerie in eine unendlich faszinierende Stimmung versetzt. Ja, es sind wohl das Zeitlose und die emotionale Tiefe, die historische Papierbilder zu wahren Schätzen machen und uns die Schönheit des Moments vor Augen führen.

Solch faszinierende Momentaufnahmen lassen sich nun, auch noch nach dem Foto-Festival Lenzburg, im Museum Burghalde mittels QR-Code hervorzaubern – und zwar auf der grossen Landkarte, just am einstigen Aufnahmeort.

«Schatzkammer». Hier stellen Mitarbeitende des Museum Burghalde Lenzburg spannende Geschichten und originelle Fundstücke vor.

Text: Marc Philip Seidel 11. 07. 2024 für Lenzburger Bezirks Anzeiger

Polarkreis retour (Kolumne 5/2024)

War das vielleicht der wahre Grund für seine Nordpol-Expedition? Vor ziemlich genau 100 Jahren waren die prächtigen Polarlichter hierzulande wie vor wenigen Tagen ebenfalls zu erblicken. Das in unserer Gegend äusserst seltene Himmelsphänomen muss es dem berühmten Polarforscher Lincoln Ellsworth, damals auf Schloss Lenzburg wohnend, wohl angetan haben. Nun gut, reine Spekulation. Dass jener aber bereits mit jungen 23 Jahren in Kanadas Wildnis und dann in Alaska umherstapfte und sich sein Vorhaben manifestierte, die Magie des Polarkreises zu erkunden, ist festgehalten. Ja, Polarlichter bezaubern. Doch nicht alle Himmelsphänomene lösten früher Freudentränen aus. Im Juli und August des Jahres 1566 wurden die drei Himmelsereignisse als himmlischer Kampf gedeutet. Da sollen schwarze Kugeln vor der aufgehenden Sonne gekämpft haben. Fünf Jahre zuvor, am 14. April, soll sich Nürnbergs Firmament gar in eine epische Luftschlacht verwandelt haben. Unzählige Objekte in Form von Kreuzen, Kugeln, Mondsicheln, Speeren sollen im Morgengrauen über den Himmel geschossen sein. Ein «Drachenstein» sorgte im Sommer 1421 im Luzernischen für Angst und Schrecken. Ein Landwirt soll der Sage nach vor einem feuerspeienden Drachen von der Rigi in Richtung Pilatus geflohen sein.

Heute wissen wir natürlich, dass jene Schreckensmomente in alten Sagen damals eigentlich bloss Beschreibungen unerklärbarer Himmelsphänomene waren. So steckt etwa hinter dem geheimnisvollen Namen «Fata Morgana» die keltische Zauberin Morgain, die in der Artus-Sage den König in ihr Reich – in die «Anderswelt» führt.

Mehr über geheimnisvolle Himmelsphänomene und Sagenzauber aus der Region gibts im frisch gedruckten Buch « Sagenzauber» des Museums Burghalde.

«Schatzkammer». Hier stellen Mitarbeitende des Museum Burghalde Lenzburg jeweils spannende Geschichten und originelle Fundstücke vor.

Text: Marc Philip Seidel 23.05 2024 für Lenzburger Bezirks Anzeiger

Schneewittchen 4.0 (Kolumne 4/2024)

Dass Botox, Silikonkissen und Skalpell da nichts bringen würden, war der Stiefmutter beim Blick ins Spieglein an der Wand glasklar. Denn den Schönheitslevel Faktor 1000 aufzuholen, war schlicht ein Ding der Unmöglichkeit, dachte sich die zweitplatzierte Alte. Also ging es ans Eingemachte und dem Miststück von Schneeflittchen an den Kragen. Doch die royal geplante Meuchelei an der deutlich hübscheren Stieftocher sollte kläglich scheitern. Die Liebe siegte und man bat zum Tanz – auch die böse Königin –, in glühend heissen Eisenpantoffeln – bis zum Umfallen. Wortwörtlich.

Wer nun glaubte, Schneewittchen sei eine Kuschellektüre, lese mal die bald 200-jährige Grimmsche Originalfassung oder die Puschkin’sche Variante aus derselben Zeit… Von wegen Glitzerglassarg, Prinzenkuss und Zwergenreigen: da wurde mit harten Bandagen gefochten. Unter Kannibalismus, Kindstötung, Giftmord und Folterszenen ging da nix. Spätestens nach der dritten Textfassung merkten aber die Grimmbrüder, dass eine moderatere Kinderausgabe mit Zuckerwatte und Einhornsirup die Buchverkäufe zum Explodieren bringen würde.

Schneewittchen inspiriert seit 200 Jahren für Film, Literatur, Malerei, Musik, Skulptur und Popkultur. Die Adaptionen sind schier unendlich – bis in die heutige Zeit. Wer also dachte, Märchen seien von gestern, der irrt: die sprechenden Zauberspiegel haben aufgerüstet und laufen heute mit Augmented Reality und der kostbare ledergebundene Wälzer punktet als schlankes iPad im Titancover. Mit KI zum «Sagen-Generator» gepimpt, zaubert das moderne Kompendium für die Ausstellungsbesuchenden bereits hunderte neue Erzählungen. Gar Schneewittchens Schlitten kommt heute fancier daher als annodazumal – in metallic ice blue, passend zur eiskalten Jahreszeit.

Mehr zu Märchen- und Sagen gibts auf www.sagenzauber.ch

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Text: Marc Philip Seidel April 2024 für Lenzburger Bezirks Anzeiger

Hölzerne Schönheit (Kolumne 3/2024)

Ja, sie rollen wie-der, die Lenzburger Holzkugeln – und Köpfe. Köpfe? Creepy! Jawohl. Denn von Totebeinli, Chnochegstell und Köpferollen han-deln einige Gruselgeschichten, so etwa diejenige vom schwarze Maa ufm Metzgplatz. Just da, wo der Schneider die rollenden Köpfe aufgefangen haben soll – am Graben –, kugelt auch die eigene Holzmurmel ins Ziel. Die Sagen aus einem alten Nest erwecken so manchen Geist wieder zum Leben, etwa den geköpften Gauner Bernhard Matter oder die Chlausbrunnengeistli, die des Nachts erscheinen sollen.

Wo Geister wabern, da sind Skelette und feuerspeiende Drachen nicht weit! Um das Ungeheuer gehts auch bei den Brüdern Guntram und Baltram. Ersterer war zu wagemutig und wurde am Stück verschluckt. So kam das Schwert des Zweiten zum Zug und dem Lindwurm gings an den Kragen. Der Sieg über das Böse brachte schliesslich das prächtige Schloss Lenzburg mit dem florierenden Städtli hervor.

Wer sich eines schönen Frühlingsabends das Himmelsleiterli zu erklimmen besinnt, um den zauberhaften Schlossanblick zu geniessen, der geselle sich zur schönen Frau Hilde und singe ein Ständchen. Vom Gofi aus soll auch die Schönheit übers Land mit seinen vielen Burgen und Schlössern geblickt haben: Brunegg, Wildegg, Wil-denstein, Besserstein, Biberstein und Habsburg oder Schloss Hallwil und Schenkenberg. Von dort überall sollen die jungen Ritter gekommen sein und um ihre Minne geworben haben. Heute noch sitzt die holde Maid hier auf dem roten Bänkli, zwar mit Holzkopf, und wartet … und wartet … und wartet….

Das Warten hat nun ein Ende! Zur Eröffnung der Märmelibahn mit den Sagen-Hörstationen am 4. April, 17.30 Uhr, unter den Arkaden des Alten Gemeindesaals, sei herzlich eingeladen.

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Text: Marc Philip Seidel vom 28.03.2024 für Lenzburger Bezirks Anzeiger

Komische Vögel (Kolumne 2/2024)

Ist von einer Schatzkammer die Rede, so erscheinen vor dem geistigen Auge unweigerlich funkelnde Edelsteine und glänzende Goldstücke. Doch das schimmernde Gold wird in Sagen und Märchen auch mal zu schwarzer Kohle. In den alten Erzählungen weicht der kurze Augenblick der Kostbarkeit im Dunkel der Vergänglichkeit. Schnitt.

Ein alter Kleinbildprojektor rattert im abgedunkelten Hexenraum und erzählt filmisch eine fantastische Geschichte von Göttervögeln. Verstaubte Singvögel auf den Gestellen und beleuchtete Tierpräparate, eingelegt in Alkohol, in Wachs getauchte Fundobjekte werden in dieser surrealen Wunderkammer zu Kuriositäten. Da leben zwei komische Vögel scheinbar im chaotischen Gerümpel des Untergrunds, in einer Welt zwischen Realität und Fantasie. Ausrangierten Dingen hauchen sie ein letztes Mal neues Leben ein und singen unbeirrbar einem neuen, hoffnungsvolleren Universum entgegen.

Beschrieben ist hier die ebenso faszinierend-bizarre wie liebevoll-poetischen Inszenierung in der eben eröffneten Sonderausstellung «Sagenzauber». Das Stück «Vogljodl» verwandelt die Brockenstube in eine Schatzkammer, in der lebendiges Erzählgut pantomimisch-wortlos in eine Halbwelt eintauchen lässt und aussortierte Objekte für kurze Zeit in den Schein einer klapprigen Lampe gerückt werden. Es entsteht ein Ort des Innehaltens, wo die ureigene Begeisterung des Menschen mit Geschichten angereichert wird.

Analog zum Motto der Veranstaltung «Ein Abgesang auf die letzten Dinge» lässt sich diese Inszenierung übrigens auf das Museum übertragen: Da kommen nämlich Fragen nach dem Erhaltungswert und der Relevanz von immateriellem Kulturguts auf. Die Abendveranstaltung «Vogljodl» spielt in der Wunderkammer der aktuellen Ausstellung «Sagenzauber». Sie lädt Anfang März und Ende Oktober in der Dépendance Seifi des Museum Burghalde – auch komische Vögel – zum musikalischen Theatererlebnis ein.

Text: Marc Philip Seidel Februa 2024

Gewürfelte Geschichten (Kolumne 1/2024)

Irgendwie haben wir es alle ins neue Jahr geschafft: horizontal ruhend, rollend gesättigt oder gar übernächtig kreisend. Irgendwann zwischen Tannenbaum und Sekt blieb unter Umständen eine ruhige Minute, um sich die Frage zu stellen: Wie soll mein 2024 werden? Gelassen, dynamisch, gewürfelt? Vielleicht bleibt ja alles beim Alten, heuer gar einen Tag länger. Oder es kommt die Kugel ins Rollen. Einige mögen schon länger gespürt haben, dass sich eine neue (Lebens-)Phase ankündigt. Jene nahmen die symbolische Jahreslinie eventuell zum Anlass, die Kreise künftig etwas grösser zu ziehen. Möglicherweise führt wie im Würfelspiel der Zufall auf neue Wege, oder es geht ganz unverhofft ein Türchen zu einer geheimnisvollen Schatzkammer auf. Lassen wir uns überraschen.

Womit wir beim Stichwort und dem Kolumnentitel wären: Ja, auch heuer haben wir in unserer Schatzkammer Highlights aus Stadt und Region Lenzburg zusammengetragen. So viel sei verraten: Die Scheinwerfer sind im Themenjahr «Sagenzauber» auf das «immaterielle Kulturgut», sprich: alte Erzählungen aus Lenzburg und Umgebung, gerichtet. Belesene wissen, dass sich unter alten Texten wahre Schätze finden lassen! Und so haben wir uns daran gemacht, die Überlieferungen aufzubereiten, zu vertonen und als Hörstation in der Sonderausstellung sowie outdoor mittels QR-Code zugänglich zu machen – einige gar als neue Märmelibahn-Station im Städtli. Ebenfalls speziell für Kinder sind ausserdem Märlistunden, für Erwachsene Inszenierungen in der sagenhaften Wunderkammer zu empfehlen.

PS: Auf die Frage, wie Geschichtenschreiben im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz geht, haben wir eine kreative Antwort gefunden: Diese gibt der weissbärtige Zauberer mit seinem «Sagengenerator», seiner magischen Schatulle – auf Knopfdruck, gewürfelt, aber keine einzige zweimal! Damit der geschriebene Schatz einmalig bleibt.

Die neue Ausstellung «Sagenzauber» eröffnet am 24. Februar seine Türen.

«Schatzkammer». Hier stellen Mitarbeitende des Museum Burghalde Lenzburg jeweils spannende Geschichten und originelle Fundstücke vor.

Text: Marc Philip Seidel vom 01.02.2024 für Lenzburger Bezirks Anzeiger

Zeitreisen (Kolumne 12/2023)

Wer kennt sie nicht, die magischen Buchklassiker aus dem (Enkel-)Kinderzimmer: das «Dschungelbuch», «Jumanji», «Alice im Wunderland» oder Harry Potters Gesamtausgabe. «In den Bann ziehen» wird bei diesen Beispielen erlebbar und magische Welten tun sich auf. Der Sogwirkung eines Buches kann sich auch Globi in seinem jüngsten Abenteuer nicht entziehen. So landet er flux im Schmöker des Trödlerladens – im Reich der Fantasie. Kapitel um Kapitel dringt der lustige Vogel tiefer in die Unendlichkeit zwischen Buchdeckeln ein.Ein genussvolles Museumsjahr darf sich nun, den winterlichen Temperaturen entsprechend, in die Winterdecke hüllen und den Jahreskreis als Gelegenheit nehmen für einen erfüllenden Rück- und Ausblick: Dass uralte Geschichten zum lebendigen Erzählgut werden, die Verschränkung von Tradition und Innovation erquickend neue Wege ermöglichen kann, hat sich im Rahmen des Themenjahres «Sagenzauber» exemplarisch gezeigt. Die Begleitpublikation verortet damit Lenzburgs immaterielles Kulturgut auch in Buchform. Der Sprung durch Zeiten, Realitäten und Seiten wird uns auch im 2025 beschäftigen. Unser Stiftungsrat und alt Stadtschreiber Christoph Moser hat uns nicht erst mit seinen Kolumnen etliche Fenster in vergangene Zeiten ermöglicht. Sein Vermächtnis für Lenzburg wird Ende April in gedruckter Form gebührend vorgestellt. Als Kooperationsprojekt mit der Stadt Lenzburg entstanden, dient auch der letzten August erschienene Führer «Kunst in Lenzburg» als Wegweiser zu Lenzburgs reichem Erbe. Ab Oktober ziehen uns die Künstlerin Clara Müller und Lenzburgs Powerfrauen in ihren Bann.

«Lenzburgs Schätze»
Sie lassen sich nicht nur in unserem Stadt- und Regionalmuseum entdecken, sondern nun auch im druckfrischen Katalog. Die «Geschichten, Sammlungen und Trouvaillen», so der Untertitel, erlauben imaginäre Reisen rund um Lenzburgs DNA. Aufgeführt sind etwa Persönlichkeiten aus Bildung, Gesellschaft und Kultur mit einem runden Lebensdatum wie der vor 200 Jahren geborene Oscar Tanner-Jeannot, Inhaber der Seilerwarenfabrik, später Mammut; die Schriftstellerin Martha Ringier (150 Jahre) und der Mitbegründer der Lenzburger Neujahrsblätter und erster Präsident des heutigen Museums, Nold Halder (125 Jahre). Dass diese Sammlung der Vollständigkeit im Buch entbehren muss, liegt auf der Hand. Die darin fehlenden Persönlichkeiten, wie der Theologe und erster Direktor der JVA, Johann Rudolf Müller (* 1824), oder der Architekt Ernst Hünerwadel (verstorben 1924), lassen erahnen, wie viele weitere Schätze und Zeitreisen uns künftig noch erwarten.

«Schatzkammer». Hier stellen Mitarbeitende des Museum Burghalde Lenzburg jeweils spannende Geschichten und originelle Fundstücke vor.

Text: Marc Philip Seidel vom 16.01.2024 für Lenzburger Bezirks Anzeiger

Magische Welten (Kolumne 11/2023)

Wer kennt sie nicht, die magischen Buchklassiker aus dem (Enkel-)Kinderzimmer: das «Dschungelbuch», «Jumanji», «Alice im Wunderland» oder Harry Potters Gesamtausgabe. «In den Bann ziehen» wird bei diesen Beispielen erlebbar und magische Welten tun sich auf. Der Sogwirkung eines Buches kann sich auch Globi in seinem jüngsten Abenteuer nicht entziehen. So landet er flux im Schmöker des Trödlerladens – im Reich der Fantasie. Kapitel um Kapitel dringt der lustige Vogel tiefer in die Unendlichkeit zwischen Buchdeckeln ein.

Wie aber öffnet man ein «Buch mit sieben Siegeln» überhaupt erst? Nicht verstanden? Dann ist dieses Nichtwissen auch gleich die Antwort respektive die Redewendung deutet auf ein unlösbares Rätsel hin. Woher dieses geflügelte Wort stammt? Aus dem «Buch der Bücher». Und darum gehts: Wenn alte Bücher nicht bloss von Rätseln und Schätzen des (ewigen) Lebens erzählen wollen, sondern selbst zu Preziosen werden und Globis Trödelladen zu Lenzburgs Schatzkammer wird, dann werden hier heilige Schriften, Rollen, Bildtafeln und -teppiche aus den alten Zivilisationen ort- und zeitversetzt erlebbar. Aus privaten Sammlungen führen die äthiopischen und koptischen Highlights gerade zu den Ursprüngen unserer Kulturgeschichte zurück. Aus Niederlenz wird der versierte Buchbinder Peter Karlen eingeflogen, um im Museumsforum seine schönsten Kalligraphien, Marmorpapiere und Handwerkspreziosen zu beleuchten. Seine kleine, feine Retrospektive läutet die neue Reihe «Lenzburg sammelt …» im Stadt- und Regionalmuseum Lenzburg ein. Das Ausstellungsplakat zieht in seinen Bann.

Am nächsten Adventssonntag ist freier Museumseintritt. Das Museum Burghalde lädt zu den Vernissagen mit Umtrunk ein. Adventspapier und Geschenkkarten marmorieren in der offenen Werkstatt, ab 8 Jahren. museumburghalde.ch.

Text: Marc Philip Seidel vom 30.11.2023 für Lenzburger Bezirks Anzeiger

Robin Hood im Aargau (Kolumne 10/2023)

Bernhart Matter, geboren 1821, auch «Robin Hood der Schweiz» genannt, ist vielen in der Region bereits ein Begriff: der erfolgreiche Gauner, der edle Dieb, der es den Reichen nimmt und den Armen gibt.

Für die einfache Bevölkerung waren die damaligen Zeiten hart. Im Aargau litten Leute damals noch Hunger – heute kaum noch vorstellbar. Einen Mittelstand gab es nicht. Jede sechste Person im Kanton musste von ihrer Gemeinde unterstützt werden. Matters Diebestouren wurden als Auflehnung gegen die Oberschicht gesehen und er war in der einfachen Bevölkerung beliebt. «Lasst den Matter in Ruh! Den Armen nimmt er nichts. Und den Reichen tuts nichts», wurde angeblich auf sogenannten «Fresszeddeli» im Suhrental verteilt, als intensiv nach ihm gefahndet wurde.

Ein Teil von Matters Berühmtheit ist auf sein Ende zurückzuführen: 1854 wurde er als letzter Aargauer in Lenzburg öffentlich hingerichtet. Sein Tod verkam zu einem regelrechten Volksspektakel, das etwa 2000 Leute mitverfolgten.

Die Hinrichtung war umstritten. Matter war zwar ein äusserst erfolgreicher Dieb – die Deliktsumme, für die er verurteilt wurde, hat immerhin den heutigen Gegenwert von einer halben Million –, aber er war kein Mörder oder Schwerverbrecher. Der Obrigkeit wurde vorgeworfen, Matter aus Rache und nicht als Bestrafung der «Vertilgung» zugeführt zu haben. Er galt nämlich als wahrer Ausbrecherkönig. Wenn er der Polizei nicht schon vorher entwischte, entkam er aus Ketten, Zellen und sogar eigens für ihn erbauten Kammern.

Viele Geschichten und Legenden ranken sich heute um den Dieb. Zu Matter gibt es Bücher, Lieder, Gedenktafeln, Theaterstücke und Comics. Auch im Museum Burghalde ist noch bis Ende November etwas von ihm zu finden: Es sind die Hals- und Armketten, mit denen er vor seiner Hinrichtung gefesselt war. Das unheimliche Exponat ist versteckt in der Sonderausstellung «Schatzkammer Wald». Wo genau, dass müssen die Besucher und Besucherinnen selbst herausfinden!

Text: Irène Fiechter vom 02.11.2023 für Lenzburger Bezirks Anzeiger

Zum Fressen gern (Kolumne 9/2023)

Generationen von Pilzkundlern und -sammlern haben anhand der Bildtafeln des Lenzburgers Hans E. Walty (1868–1948) die Schweizer Pilzflora kennen gelernt. Mit dem kleinen Bildbüchlein im Sack sind sie durch die Wälder geschlichen auf der Suche nach den schönsten Gewächsen.

Verblüffend real
Der durchschlagende Erfolg jenes vor genau 100 Jahren und jünger verlegten Bildtafelwerks ist nicht zuletzt seiner Akribie geschuldet. Verblüffend real und in noch nie da gewesenem Umfang sollten mehrere Bändchen in x-facher Auflage folgen.

Das umfassende mehrbändige Kompendium war insofern heiss begehrt, als dass Walty neben der deutschen und der lateinischen Bezeichnung mit Funddatum jeweils auch die Einordnung essbar, ungeniessbar, verdächtig, giftig, «tötlich» vermerkt hatte.

An die 500 Bildtafeln
Während über 30 Jahren schuf der einstige Zeichenlehrer an der Bezirksschule Lenzburg und preisgekrönte Künstler Hunderte Aquarelle. Stets bemühte sich der Pilzforscher um eine Kategorisierung, doch die gigantische Zahl an unterschiedlichen Arten liess ihn seine einmal erlangte Auflistung mehrfach revidieren. Jenes Manuskript blieb unveröffentlicht, das atemberaubende Originalwerk der Öffentlichkeit verborgen – bis auf ein einziges und letztes Mal 1953.

Nimm’s mit Humor
Bei all den Erkundungen über die Jahrzehnte müssen dem passionierten Pilzsammler Walty unzählige Anekdoten zu Ohren gekommen sein. Jedenfalls findet sich solch eine in den Lenzburger Neujahrsblättern: Wie Walty darin die Namensfindung des Steinpilzes in verschiedenen Sprachen umschreibt, kommt er schlussendlich auf die deutsche Übersetzung zu sprechen: «Die Deutschen nennen den schwarzhütigen Steinpilz ‹weissfleischiger Bronzepilz›. Als ich vor Jahren die Zürcher Pilzausstellung besuchte, war er als solcher angeschrieben. Ein biederer Schwabe las kopfschüttelnd die Anschrift und meinte: ‹Jetzt hab i gmeint, ich hätt mei Lebe lang den schwarzhütigen Stoipilz gfressa, und jetzt is des auf einmal der weissfleischige Bronzepilz.›» Womit ich – ganz im Sinne Waltys – schliesse.

Bis 26. November
Die Ausstellung «Herausragende Pilze – Die Aquarelle von Hans E. Walty» ist im Museum Burghalde in Lenzburg bis am 26. November zu sehen.


Text: Marc Philip Seidel vom 07.09.2023 für Lenzburger Bezirks Anzeiger